Ryanair: Die Solidarität wächst

Immer wichtiger scheint es zu sein, Nachrichten möglichst schnell zu erstellen, zu erhalten oder zu kommentieren. Ein vier- oder gar fünfstelliger Kennzeichenzähler an einer News- oder Messenger-App hat für manch einen schon den Wert eines Statussymbols angenommen, über das es sich zu definieren lohnt. Der Wert der entsprechenden Kommentare, die sich häufig auf Thumbs-Up, Thumbs-Down oder noch wesentlich illustrere Bilder beschränken, darf gleichwohl in Frage gestellt werden.

Unter diesem zunehmenden Geschwindigkeitswahn leidet jedoch nicht nur die Qualität der Ausdrucksweise. Sobald es oberstes Ziel wird, als Erster eine neue „News“ zu verbreiten, bleibt für eine Überprüfung der Inhalte keine Zeit mehr. Nicht der Wahrheitsgehalt einer Nachricht zählt, sondern Verbreitungsgeschwindigkeit, Reichweite und Interaktion. Ohne Faktencheck als Kontrollmechanismus degeneriert unsere aufgeklärte Gesellschaft allerdings zum stumpfen Informationsempfänger und darüber hinaus auch zum ungefilterten Multiplikator mangelhafter Informationspolitik.

„Fake News“ sind dabei nicht einmal die Wurzel des Übels, sondern lediglich die Spitze des Eisbergs. Natürlich ist das gezielte Verbreiten falscher Informationen, die meist einen ganz bestimmten Zweck verfolgen, schändlich. Wer in dieser schnelllebigen Zeit aber ungefiltert Informationen aufnimmt, ohne diese zu hinterfragen, macht sich ebenfalls zum Teil dieses Systems. Nicht der Fingerzeig auf jene, die Fake News verbreiten, wird die individuelle Informationslage qualitativ verbessern. Sondern nur das kontinuierliche Hinterfragen der Informationen, die zur Verfügung gestellt werden.

Wie einfach ist es, sich schnell mit einem Post zu empören (das geht ja gar nicht), wenn etwas zum Himmel stinkt. Wahrscheinlich generiert dies weitere Empörung (wie können die nur), denn wer will sich schon dieser Gruppendynamik entziehen. Doch wo bleiben die Fragen „haben die überhaupt?“ und „wenn ja, warum?“? Denn manchmal ist das, was zum Himmel stinkt, nichts anderes als eine vergammelte Nachricht ohne Wahrheitsgehalt.

Auch wir machen immer wieder Erfahrungen damit, dass über die VC und deren angebliche Forderungen und Positionen falsche Informationen verbreitet werden. Ob dies aus Unachtsamkeit geschieht oder damit niedere Ziele verfolgt werden, mag nicht immer eindeutig zu beantworten sein. Es liegt an jedem Einzelnen von uns, die Informationen innerhalb des Verbandes zu hinterfragen und Unwahrheiten aufzudecken, um Angriffe auf unsere Solidarität abzuwehren. 

Der Anspruch auf Informationsgeschwindigkeit verschont auch die professionellen Medien nicht. Und so wird auch hier zunehmend Wert auf schnelle schlagwortbasierte Veröffentlichung gelegt.

Kürzlich las ich in einer Zeitung als Überschrift „Ryanair will besser werden“. Dem nachfolgenden Artikel war zu entnehmen, dass Ryanair trotz fortwährender Ermahnungen und trotz des kleinen Marktanteils am Flughafen Frankfurt nach wie vor mit Abstand für die meisten Flüge im verbotenen Nachtflugfenster verantwortlich ist. Nachdem Hinweise und Intervention seitens der Behörden und der Landesregierung zu keinen Veränderungen geführt haben, darf getrost die Frage nach dem Wert der Aussagen „Ryanair will besser werden“ gestellt werden. Zumal hier von einem Unternehmen die Rede ist, dass Kunden mit günstigen Lockangeboten ködert und diese anschließend mit völlig überzogenen Zusatzgebühren belegt, die letztlich häufig zu höheren Gesamtticketpreisen führen als bei der Konkurrenz. „Ryanair will besser werden“ ist ganz gewiss auch nicht das Empfinden der Kunden, die von den massiven Flugstreichungen betroffen sind und denen keine unkomplizierte Entschädigung angeboten wird. Ohnmacht und Wut, weil man sich im Stich gelassen fühlt, würden es besser treffen.
Wie kann man einem Unternehmen glauben „besser werden“ zu wollen, dass seine Arbeitnehmer in zwielichtige Beschäftigungsmodelle drängt, um sich selbst jeder Verantwortung zu entziehen? 

Doch die Piloten bei Ryanair haben quer durch Europa aufgehört nur Informationsempfänger zu sein. Das System „Ryanair-News“ fällt beim Faktencheck durch und wird von ihnen nicht länger akzeptiert.

Die Piloten sind nicht länger bereit, sich einem von Ryanair vorgegebenen System der Vertragsgestaltung, in dem sie keinerlei Mitsprache haben, zu unterwerfen. Dass Mr. O’Leary dabei konsequent auf die Legalität  dieses Systems nach irischer Rechtsprechung verweist, zeigt umso deutlicher, wie weit er sich von seinen Mitarbeitern entfernt hat. Den Mitarbeitern geht es weder bei den Verträgen noch beim System um die Frage, ob es Ryanair irgendwie schafft, diese gerade noch als legal darzustellen oder zumindest keine Verantwortung dafür zu tragen. Ihnen geht um die berechtigten Ansprüche von über 4.000 Piloten und noch wesentlich mehr anderen Mitarbeitern, die nichts anderes als Respekt und Verhandlungen auf Augenhöhe verlangen. 

Noch wehren sich die Ryanair-Verantwortlichen gegen die demokratische Mitbestimmung ihrer Mitarbeiter. Doch die Solidarität wächst und es werden täglich mehr, die sich nicht länger unterdrücken lassen wollen. Solch eine aufgeklärte Gesellschaft, die bereit ist zu hinterfragen statt runterzuschlucken, die bereit ist für ihre Rechte einzustehen statt abzutauchen, lässt sich nicht aufhalten.

Es ist an der Zeit, nicht nur die Spitze des Eisbergs anzukratzen, sondern nach der Wurzel des Übels zu graben. 

Ilja Schulz
Präsident Vereinigung Cockpit e.V.

Editorial VC Info 4/2017