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Eine "Just Culture" (zu Deutsch "Redlichkeitskultur") regelt, wie mit Fehlern umgegangen wird und ist das Fundament für Sicherheitsarbeit in der Luftfahrt. Sie entstand durch die Erkenntnis, dass Furcht vor Bestrafung einen Menschen nicht davon abhält, erneut einen Fehler zu begehen, sondern eher ein Hemmnis für den offenen Umgang (z.B. durch einen Report) damit darstellt. Viel wichtiger als den Einzelnen für einen nicht-vorsätzlichen Fehler zu bestrafen ist der systemische Blick auf die Ursache des Fehlers und wie dieser in Zukunft vermieden werden kann. Dies geht nur durch dynamisches Risikomanagement in Form von Reports, die zur Ursachenforschung und schließlich zur Reduktion eines Risikos führen können. Das Ziel einer Just Culture ist also die Förderung von Vertrauen und Straffreiheit bei nicht-vorsätzlichen Fehlern, um damit einen kontinuierlichen Fluss an Reports und somit eine offene Fehlerkultur zu gewährleisten. Bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit ist jedoch durchaus eine Sanktionierung vorgesehen, was einer Just Culture auch ihre Glaubwürdigkeit verschafft.
Beim Austausch mit dem BAF ging es unseren VC Vertretern hauptsächlich um die Fragestellung, ob und wie das BAF die Redlichkeitskultur in diesem Bereich berücksichtigt und mit dem scheinbaren Widerspruch von Sanktionierung und Just Culture umzugehen versteht. Dazu wurde im Gespräch schnell ersichtlich, dass sich das BAF der Thematik Ordnungswidrigkeiten mit sehr viel Augenmaß und dem Anspruch annimmt, die Flugsicherheit vorwiegend systemisch zu stärken. Wie das BAF hier vorgeht, wurde im Gastbeitrag von Herrn Köhler in unserer VC Info vom 29.07.2021 näher beschrieben. Es ist dabei hervorzuheben, dass das BAF hierbei sowohl die individuelle Ahndung von Ordnungswidrigkeiten als auch (soweit möglich) das Ziel eines systemischen Sicherheitsgewinns verfolgt. Beim Austausch wurde dies recht gut an einem konkreten Fallbeispiel deutlich gemacht, bei dem ein Pilot durch die Wahl eines SLOP (Strategic Lateral Offset) Verfahrens sich entweder einer Flugsicherungsfreigabe widersetzen musste oder im Widerspruch zu seinem Company Handbuch hätte handeln müssen. In jedem Fall lag hier eine wissentliche Regelabweichung vor, die jedoch nicht individuell durch ein Bußgeldverfahren geahndet wurde, sondern im Austausch mit dem LBA zu einer Abänderung des Company Handbuchs geführt hat, die dann systemisch zu einer Verbesserung der Safety beitragen konnte.
Zudem konnten die VC Vertreter erfreut feststellen, dass sich das BAF streng an das Gebot hält, (selbstbelastende) Meldungen nach der EU-VO 376/2014 nicht als Auslöser für ein evtl. Bußgeldverfahren zu nutzen und zudem bei Rückfragen an den jeweiligen Operator (zwecks Identitätsermittlung des/der Piloten) keinerlei fallbezogene Informationen an die Airline (dh. den Arbeitgeber des/der Piloten) preiszugeben. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn – wie wohl regelmäßig zu beobachten – der Operator Akteneinsicht beantragt. Dies wird seitens des BAF strikt abgelehnt. Ebenso werden keine Informationen von Reports nach EU 376 aus einer Safetyabteilung an das BAF weitergegeben, geschweige denn aktiv vom BAF angefragt.
Herr Köhler hat bei der Gelegenheit auch nochmal den üblichen Auslöseprozess von Ordnungswidrigkeitsverfahren durch Flugsicherungsmeldungen aus dem Tagesreport der jeweiligen Flugsicherungsstelle beschrieben, bei dem das BAF selbstständig und ohne gesonderten Hinweis die Tagesreports der Fluglotsen auf mögliche Ordnungswidrigkeiten durchleuchtet. Auch hier wird allerdings nach Maßgabe des sog. Opportunitätsprinzips gehandelt, das dem BAF einen gewissen Ermessensspielraum einräumt und zum Beispiel dazu führen kann, dass bei fehlender konkreter Gefährdung und erkennbar geringer zeitlicher oder räumlicher Intensität des Verstoßes von einem Ordnungswidrigkeitsverfahren Abstand genommen wird. Zugleich wird auch im Rahmen eines regelmäßigen „Jour Fixe" zwischen DFS und BAF eine gemeinsame Betrachtung von „Hot Spots" und offenkundigen „Wiederholungstätern" vorgenommen, die dann wiederum in eine genauere Begutachtung durch das BAF münden kann. Generell wird beim Verdacht auf eine Ordnungswidrigkeit sowohl das entsprechende Radarbild als auch der aufgezeichnete Funksprechverkehr ausgewertet um die Darstellungen Beteiligter zu verifizieren. Hierbei gehen dann auch evtl. Stellungnahmen der betroffenen Piloten zu einem Ereignis ein, sofern diese beim BAF eingereicht werden.
Sebastian Kloth hat im Rahmen des Gesprächs auch von seiner Teilnahme am Eurocontrol Prosecutor Expert Course berichtet und das BAF ermutigt, hierzu entweder selbst einschlägige Mitarbeiter zu entsenden oder aber bei den beteiligten Staatsanwaltschaften für eine Teilnahme zu werben. Der Kurs soll einerseits Experten schulen, die den nationalen Staatsanwaltschaften in Luftfahrtfragen fachlich zur Seite stehen, dabei aber zugleich auch Staatsanwält:innen und Richter:innen für das Thema Just Culture in der Luftfahrt sensibilisieren.
Es wurde vereinbart, den guten Dialog zwischen BAF und VC, der bereits im Jahr 2021 durch einen Gastbeitrag von Herrn Köhler in der VC Info gestartet wurde, auch in Zukunft fortzusetzen und somit gemeinsam das Thema Just Culture weiter voranzubringen.