Referenzsensorik an einem Pylonen unter dem Flügel der Safire ATR 42 zur Bestimmung der atmosphärischen Bedingungen | © DLR (CC BY-NC-ND 3.0)

Flight Safety

Dann hilft nur noch der Sinkflug! - Wie neue Eiserkennungstechnologie Leben retten könnte

Am 9. August 2024 stürzte eine ATR72 der brasilianischen Fluggesellschaft VoePass Linhas Aéreas ab. Der vorläufige Unfallbericht legt nahe: Wieder einmal spielte Vereisung eine zentrale Rolle – und rückt das altbekannte Risiko erneut in den Mittelpunkt der Sicherheitsdiskussion.

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Kritische Wetterlage und verzögerter Sinkflug

Zum Zeitpunkt des Unglücks befand sich Flug PTP2283 auf Reiseflughöhe FL170. Aufgrund eines technischen Defekts am Pack (zuständig u. a. für den Kabinendruck) durfte diese Höhe nicht überschritten werden. Eigentlich war der Sinkflug bereits geplant, doch die Flugsicherung verzögerte ihn wegen dichtem Verkehr.

Das Flugzeug flog im oberen Bereich einer vertikal ausgedehnten Stratusbewölkung – einer geschlossenen, labil geschichteten Wolkendecke. Dort herrschten rund –18 °C. In Summe also Bedingungen, in dem unterkühlte Wassertropfen besonders häufig vorkommen können. Innerhalb kürzester Zeit kann sich hier gefährliches Eis an Tragflächen und Leitwerken bilden.

 

Das bordeigene Vereisungswarnsystem meldete mehrfach Gefahr. Die Piloten aktivierten das Enteisungssystem wiederholt, doch die Geschwindigkeit nahm stetig ab. Trotz mehrerer Warnungen – bis hin zur Stall-Warning – wurde der notwendige Sinkflug nicht eingeleitet.

Das severe icing-Verfahren bei der ATR sieht vor, 30 Knoten über einer minimalen Icing-Speed zu fliegen, maximalen Schub zu setzen und sofort zu sinken. 

Die Piloten verloren in der Folge die Kontrolle, gerieten in einen instabilen Flugzustand – und stürzten schließlich ab. Der finale Unfallbericht steht noch aus, doch es wäre bereits der vierte ATR-Absturz im Zusammenhang mit Vereisung. [1]

Neue Anforderungen und technologische Lösungen

Nach früheren Vorfällen haben die Zulassungsbehörden den atmosphärischen Vereisungsbereich erweitert. Neu zugelassene Flugzeuge müssen nun nachweisen, dass sie auch in  Eiswolken mit hohem Wassergehalt (CS-25, Appendix O) über eine bestimmte Zeit sicher fliegen können.

Die Schwierigkeit dabei: Solche Bedingungen treten selten auf – und sind nur schwer zu erkennen. Genau hier setzt das europäische Forschungsprojekt SENS4ICE (2019–2023) an, koordiniert vom DLR. Ziel: Vereisungsbedingungen schon vor spürbaren aerodynamischen Einbußen zu identifizieren. [2]

Dafür wurden zehn verschiedene Technologien zur Eiserkennung getestet – zunächst im Windkanal, dann an echten Flugversuchsträgern. „Die besten Ergebnisse wurden erzielt, indem die Erfassung atmosphärischer Vereisungsbedingungen mit der Identifizierung des tatsächlichen Eisansatzes im Flugzeug kombiniert wurde, unterstützt durch die Überwachung der Flugleistung“, so das DLR. [3]

Was jetzt zählt: Technik und Taktik

Auch wenn die Technik Fortschritte macht, bleibt eine Empfehlung bestehen: Vereisungsbedingungen sollten – wann immer möglich – aktiv vermieden werden. Denn selbst die besten Enteisungssysteme stoßen irgendwann an physikalische Grenzen. Wenn die Leistung des Flugzeugs durch starken Eisansatz unkontrollierbar einbricht, hilft am Ende nur noch der Sinkflug.


Quellen
Vorläufiger Unfallbericht: https://skybrary.aero/sites/default/files/bookshelf/35022.pdf, abgerufen 05.09.25.
[1] Absturz AA4184 im Jahr 1994 in Roselawn, Indiana; Absturz Transasia Airways 883 im Jahr 2002 bei Taiwan; Absturz Aerocaribbean 883 im Jahr 2010 in Kuba.
[2] https://www.sens4ice-project.eu/
[3| https://www.dlr.de/en/latest/news/2024/detection-of-supercooled-water-droplets-in-flight, abgerufen 11.09.2025.