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Flight Safety

Das wird ins Auge gehen…

Ein Blick in die Nachrichten-App auf dem Handy ist immer erhellend. „KI kann jetzt das biologische Alter berechnen.“ Toll. „Bayern gewinnt 10:0 gegen Auckland.“ Aha. „Sind Sonnenbrillen wirklich schädlich?“ Augenblick mal! Da weitet sich die Pupille und der Denkmuskel spannt sich an. Was kann der Artikel hinter dieser Überschrift? „Um Sonnenbrillen ranken sich viele Mythen: Sind sie eine Gefahr für die Haut oder unseren Biorhythmus?“ Das ist doch zum aus der gefährdeten Haut fahren, dem werden wir direkt auf den Grund gehen.

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Die Mythen

In den sozialen Medien, so führt der Artikel aus, verbreiten sich verschiedene, teils wissenschaftlich daherkommende Behauptungen. 

Sonnenbrillen verursachen Sonnenbrand und bringen die innere Uhr durcheinander.

Das liest sich jetzt auf den ersten Blick nach ziemlich steilen Thesen, wird aber von den Verfassern untermauert:

Wenn weniger Licht in die Augen fällt, da es von der Sonnenbrille abgeschirmt wird, stellt sich die Haut darauf ein und ist für die Sonne empfindlicher, man bekommt schneller Sonnenbrand.

Das zum Thema Sonnenbrand. Was ist jetzt mit der inneren Uhr?

Tageslicht hemmt die Melatoninproduktion, das Schlafhormon, und macht uns dadurch wach.

So weit, so gut. Schauen wir doch mal, was da dran ist.

Die Fakten

Der Sonnenbrand-Mythos 

Es ist alles nicht ganz so einfach, vollziehen wir mal den Mechanismus am lebenden Objekt nach.

So beginnt es denn: Licht fällt auf das dünkel‘ Aug. Jeder von uns hatte Biologieunterricht in der Schule. Da war was mit Stäbchen und Zapfen… Aber wer hat schon mal von den intrinsisch photosensitiven Retinalganglienzellen gehört? Wir sind Piloten und lieben Abkzgn, also bitteschön: Diese ipRGC melden den Lichteinfall an den Hypothalamus, über Hormone wird dann der Haut eine zu steigernde Melaninproduktion angekündigt.

Wie bitte? Das Auge regelt also tatsächlich die Bräunung der Haut?

Jein. 

Licht übers Auge moduliert nur die hormonelle Basisbereitschaft, nicht die akute Bräunung.

Die Hauptbräunung entsteht direkt in der Haut durch UV-B Strahlung.

Die Haut selbst produziert also das Melanin, den Farbstoff, der die Haut abdunkelt. Wie läuft das genau ab?

Das geht unter die Haut

UV-Strahlung stimuliert die Pigmentzellen (Melanozyten) in der obersten Hautschicht der Epidermis. Diese beginnen Farbstoff zu produzieren. Das bräunliche Melanin wird dann an andere Zellen, Keratinozyten, abgegeben und dort eingelagert. Die Melanozyten liefern also den braunen „Sonnenschutzlack“ für die Keratinozyten, die später zu Hornhaut werden und mit der Zeit abschuppen. Man wird wieder heller, wenn die UV-Exposition eine Weile zurückliegt.

Man kann also durchaus mal ein gewagtes „Ich bewundere ihre Melanin-besetzten Hornhautzellen!“ anbringen und schauen, was passiert.

In Zahlen, Maestro: Trommelwirbel, liegt der natürliche Lichtschutzfaktor der Haut damit bei 3. Ernüchternd, Trommelwirbel aus. Und ein Grund mehr, sich mit anständigem Sunblocker einzucremen. Der Lichtschutzfaktor ist übrigens der Multiplikator für den Zeitraum, den die ungeschützte Haut bei UV-Exposition bis zum Sonnenbrand hat. Wenn ohne Sonnencreme nach 5 Minuten Rötung einträte, komme ich mit einem 50er Sunblocker auf 5min x 50= 4h 10min.

Der Tag-Nacht-Rhythmus-Mythos

Langstreckenflieger insbesondere wissen, der zirkadiane Rhythmus, unsere innere Uhr, gibt unserem Körper „Tag“ und „Nacht“ vor. Es klingt erst einmal kurios, aber das funktioniert grundsätzlich ohne äußere Taktgeber. Aber die innere Uhr gibt uns eine Tageslänge von etwas mehr als 24 Stunden vor. Um das an die 24 Stunden Tageslänge anzupassen, braucht es dann doch externe Faktoren. Zum Beispiel Tageslicht.

Bevor wir uns endgültig der Erklärung des entsprechenden Mechanismus im Körper zuwenden, bedarf es noch ein paar illustrer Protagonisten.

  • Der suprachiasmatische Nukleus
    Der ist nicht nur supercalifragelistischexpialigetisch in der Aussprache, er ist auch noch supra, also oben drüber. Über was? Über dem Chiasma opticum, der Kreuzung der Sehnerven. Und Nukleus ist er auch noch. Sprich der lateinische Kern, das Zentrum im Hypothalamus, welches den zirkadianischen Rhythmus für uns regelt.
     
  • Die Zirbeldrüse
    Warum auch immer muss ich hier an Zirbelholz denken. Das ist vielleicht das Material, aus dem das Brett vorm Kopf gezimmert wird. Und damit sind wir näher an der Wahrheit als sich initial vermuten lässt. Dieser kleine, im Auenland des Mittelhirns wohnende Hobbit, erinnert von seiner äußeren Form tatsächlich namensgebend an die Zapfen der Zirbelkiefer. Sie regelt die Melatoninausschüttung. Die Drüse natürlich, nicht die Kiefer.
    Fun fact: Bei manchen Amphibien, Reptilien und Vögeln ist die Zirbeldrüse selbst photosensitiv und nimmt wie ein drittes Auge Licht von außen auf.

Die meisten von uns sind jedoch keine Frösche, deshalb betrachten wir Schritt für Schritt, was in unseren menschlichen Körpern passiert: 

  • Licht fällt ins Auge (besonders der Blauanteil ist interessant)
  • Ein Signal läuft über die uns inzwischen bekannten ipRGCs an den suprachiasmatischen Nukleus (SCN)
  • Der SCN gibt ein Signal zur Zirbeldrüse
    Bei Dunkelheit: Ausschüttung von Melatonin, das macht schläfrig, senkt Körpertemperatur, synchronisiert Biorhythmen
    Bei Licht: Hemmung der MelatoninproduktionPosition fürs INS oder Tageslicht für die Zirbeldrüse.

Das ist ja wie bei der Hautbräunung! Also regelt das Auge auch den Tag-Nacht Rhythmus?

Schon wieder Jein.

Der zirkadiane Rhythmus funktioniert, wie vorhin angeführt, ohne externe Taktgeber. Bauen wir den Vergleich zur Fliegerei, dann funktioniert die Trägheitsnavigation auch ohne Kontakt zur Außenwelt. Aber irgendwann laufen Position und Schlafrhythmus weg. Um den Fehlervektor von Zeit zu Zeit wieder gerade zu ziehen, braucht es dann eben doch eine GPS-Die meisten von uns sind jedoch keine Frösche, deshalb betrachten wir Schritt für Schritt, was in unseren menschlichen

Fazit

Wir schlendern an einem weiten, menschenleeren Strand entlang. Die Wellen des Wissensmeeres rollen unaufhörlich heran, der Wind weht die salzige Seeluft in unsere mit Sonnencreme geschützten Gesichter. Als wir uns umdrehen, sehen wir unsere Spuren im Sand. Sie führen an einer Kröte mit drei Augen vorbei über den Hypothalamus zu Zirbelzapfen und Stäbchen bis fast an den Horizont. Dort sehen wir, ganz klein und verschwommen, den Beginn unserer Reise. Eine Sonnenbrille. Mist. Die hatte ich schon fast vergessen!

Was macht denn jetzt die Sonnenbrille aus der Nachrichten-App mit dem Sonnenbrand und dem Tag-Nacht-Rhythmus?

Wie so oft lässt sich die Antwort mit den bisher vorliegenden Fakten noch nicht eindeutig geben.

Sonnenbrand durch Sonnenbrille? 

Selbst wenn wir davon ausgingen, dass die Sonnenbrille die Sonne so stark abschirmen würde, dass der Körper nicht mehr mitbekäme, dass es Zeit wäre, Melanin zu produzieren, was er sowieso durch die direkte Einstrahlung auf die Haut täte, und man vernachlässigen würde, dass der Lichtschutzfaktor der Haut gerade einmal „3“ beträgt… Das ist so viel Konjunktiv, da bekomme ich fast Konjunktivitis. Eincremen ist also sowieso Pflicht bei Sonneneinstrahlung, der Effekt der Sonnenbrille ist also eigentlich zu vernachlässigen.

Schlechter Schlaf durch Sonnenbrille?

Lux. Eine Einheit für Beleuchtungsstärke. Und das ist genau das, was wir jetzt brauchen.

Bereits ~1.000-2.500 Lux können ausreichen, um die Zirbeldrüse zu bremsen und die Melatoninproduktion zu unterdrücken, man wird wach. 
Die Sonne liefert:

Mittags draußen, sonnig: 10.000–100.000 Lux

Mit Sonnenbrille bleiben davon noch immer 3.000-10.000 Lux übrig.

Der Effekt der Sonnenbrille ist also grundsätzlich nicht stark genug, um den Tag-Nacht-Rhythmus komplett zu zerschießen.
Es empfiehlt sich aber dennoch, gerade in unserem Beruf mit Zeitzonen und verschobenen Arbeitszeiten, zum Aufwachen eine „Lichtdusche“ an der frischen Luft zu nehmen. Auch morgens draußen, bei bewölktem Himmel kommt man noch auf 2.000–5.000 Lux.

Sollte übrigens jemand auf die Idee kommen, man könnte schlecht schlafen bei Vollmond, weil der so hell ist… Der Vollmond bringt es gerade mal auf 0,25 Lux. Warum wirkt er dennoch so hell? Nachts verlassen sich unsere Augen insbesondere auf das Stäbchensehen (Dunkeladaption), der Kontrast zwischen dem relativ hellen Mond und dem schwarzen Weltall ist irreführend und auch ansonsten gibt es nachts weniger andere Lichtquellen, die die Helligkeit des Mondes in eine vergleichbare Relation setzen würden.

Zum Schluss

Noch ein ernstes Wort zum Sonntag. Als ob ein drittes Auge auf dem Rotkehlchenkopf nicht schon schlimm genug wäre, können unsere menschlichen Augen durch UV-Strahlung ernsthafte Schäden davontragen.

  • Photokeratitis (Schneeblindheit) - akut wie „Sonnenbrand“ der Hornhaut
  • Pterygium („Flügelfell“)- Wucherung von Bindehaut auf Hornhaut
  • Katarakt (Grauer Star)- Linsentrübung
  • Makuladegeneration (v. a. altersbedingt) - Schädigung der Netzhautmitte (Makula)
  • Lidrandtumoren - Hautkrebs am Auge (Basaliom, Plattenepithelkarzinom)

Eine gute Sonnenbrille (UV-400) kann die Risiken für die meisten dieser Erkrankungen zumindest mindern. Wie auch beim Fluggerät gilt: Auf die Wartung achten! Die Brille filtert UV, das geht auf die Gläser. Also alle Jahre wieder zum Optiker und dieses wichtige Schutzgerät checken lassen. Kratzer, UV-Filterfähigkeit und so weiter.

Wer übrigens darauf spekuliert, dass die Cockpitscheiben alles UV sowieso rausfiltern, der tut genau das: spekulieren. 100% gesicherte Informationen welche Scheibe in welchem Flugzeugmuster welche Filterfähigkeit in welchem Bereich des Lichtspektrums aufweist haben wir leider nicht. 

Wir wollen ja noch einige Zeit während der Fliegerei und auch danach noch etwas von unseren unersetzlich wichtigen Sehorganen haben. Wie sagte ein weiser, weißer Mann noch gleich dereinst? „Augen zu bei der Berufswahl.“