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Recht

Die Beteiligung des Flugschülers an den Kosten seiner Pilotenausbildung

Risiko einer wertlosen Teilschulung

BAG, Urteil vom 5. 9. 2023 – 9 AZR 350/22 (Parallelverfahren 9 AZR 351/22; 9 AZR 355/22, 9 AZR 356/22, 9 AZR 357/22)

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Vereinbarungen über die Beteiligung eines Arbeitnehmers an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Dies gilt auch für Klauseln, die eine unbedingte Kostenbeteiligung zum Gegenstand haben

  1. Der zwischen dem Flugschüler und der Fluggesellschaft zum Zwecke der Schulungsfinanzierung geschlossene Darlehensvertrag stellt ein einheitliches Rechtsgeschäft mit dem Schulungsvertrag dar, den der Flugschüler mit einer Tochtergesellschaft der Fluggesellschaft schließt. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um eine dreiseitige Vertragsbeziehung handelt, wenn ein enger rechtlicher Zusammenhang zwischen den Verträgen besteht. 
     
  2. Das einheitliche Rechtsgeschäft aus Schulungsvertrag und Darlehensvertrag ist einer AGB-Kontrolle anhand der Vorgaben in § 307 Abs. 1 BGB zu unterziehen. Flugschüler sind Verbraucher. 
     
  3. Aus § 26 Berufsbildungsgesetz (BBiG) folgt nicht die Anwendbarkeit der § 12 Abs. 2 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 3 BBiG auf das mit dem Schulungsvertrag begründete Rechtsverhältnis. Eine Einstellung nach § 26 BBiG setzt voraus, dass der Vertragspartner durch ein Mindestmaß an Pflichtenbindung am arbeitstechnischen Zweck des Betriebs des anderen Teils mitwirkt. Dies ist bei einer Flugausbildung an einer Flugschule nicht der Fall. 
     
  4. Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, sind grundsätzlich zulässig. Dies gilt auch für Klauseln, die eine unbedingte Kostenbeteiligung zum Gegenstand haben. 
     
  5. Im Hinblick auf die von Art. 12 Abs. 1 GG ausgehende Schutzfunktion muss die Angemessenheit der Rückzahlungsverpflichtung unter Berücksichtigung der Beteiligung beider Parteien an den Kosten, des Grades der Werthaltigkeit der Ausbildung sowie des Umstands, dass Menschen im Ausbildungsalter ohne anderweitigen Abschluss durch die Beteiligung an Ausbildungskosten typischerweise in besonderer Weise belastet sind, beurteilt werden. Die Rückzahlungspflicht wird umso eher noch als angemessen betrachtet werden können, je höher die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Teilschulung einzustufen ist.   
     
  6. Als unangemessen benachteiligend könnte sich das vom Flugschüler zu tragende Kostenrisiko erweisen, wenn ihm nach Abschluss der Grundschulung zunächst weder die Beklagte noch eine andere Konzerngesellschaft die Fortsetzung der Pilotenausbildung anbietet (§ 13 Abs. 2 des Schulungsvertrages) und er deshalb eine andere Ausbildung aufnimmt. Wird dem Flugschüler später die Fortsetzung der Pilotenausbildung angetragen und lehnt er dieses Angebot ab, weil er zunächst die zwischenzeitlich aufgenommene Ausbildung abschließen möchte, muss er einen wesentlichen Teil der Ausbildungskosten für die nicht abgeschlossene Pilotenausbildung tragen. Dies hat zur Folge, dass er für einen mehrjährigen Zeitraum mit einem Kostenrisiko belastet wird, ohne die Gewissheit zu haben, seine Ausbildung bei der Beklagten oder einer ebenfalls unter den Konzerntarifvertrag fallenden Gesellschaft beenden zu können.   
     
  7. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Rückzahlungsverpflichtung ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit es dem Flugschüler tatsächlich und rechtlich möglich war, seine weitere, auf der Grundschulung aufbauende Ausbildung zum Piloten bei der Fluggesellschaft oder einer anderen Ausbildungsorganisation zu beenden. 

 

Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht (Hessisches Landesarbeitsgericht) zurückverwiesen. Über den Verfahrensfortgang werden wir berichten. Bei Rückfragen stehen wir gerne unter recht@vcockpit.de zur Verfügung.