+ 49 69 34 87 29 32
Mehr Infos

© Vereinigung Cockpit e.V.
Was einst wie Science-Fiction klang, hebt heute bereits in Europa ab: elektrische Flugzeuge. Sie starten leise, nahezu emissionsfrei – und eröffnen eine neue Ära der Luftfahrt. In Norwegen absolvierte vor Kurzem erstmals ein vollelektrisches Flugzeug erfolgreich die Strecke zwischen Stavanger und Bergen. Und die niederländische Fluggesellschaft KLM hat im Sommer bekannt gegeben, mit dem Hersteller Elysian zu kooperieren, einem niederländischen Entwickler von Elektroflugzeugen. Gemeinsam möchte man die Entwicklung und Einführung batteriebetriebener Flugzeuge für Kurzstreckenflüge vorantreiben.
Wir haben mit den Mitgliedern der Task Force Environment der Vereinigung Cockpit – Peter Müller, ehemaliger Berufspilot und Fluglehrer, sowie den beiden aktiven Verkehrspiloten Yannik Hampe und Daniel Tandoi – gesprochen und sie gefragt, wie alles begann und wo sie die größten Herausforderungen und Chancen auf dem Weg zum elektrischen Fliegen sehen.
Vom Pioniergeist zum Pilotentraining
„2017 war Elektromobilität in der Luftfahrt noch völliges Neuland“, erinnert sich Peter Müller, der heute in der Luftverkehrsabteilung des Umweltministeriums NRW das Thema elektrische Luftfahrt vorantreibt. Die ersten Schritte wirkten unscheinbar: Nicht große Jets, sondern Elektrowinden auf Segelflugplätzen markierten den Beginn. Doch das war mehr als ein technisches Detail – Vereine elektrifizierten ihre Plätze mit Photovoltaikanlagen, Ladestationen und Batteriespeichern. „Wenn junge Menschen ihr Flugzeug mit Solarstrom laden konnten, ohne Netzbezug – das war ein echtes Leuchten in den Augen“, so Müller.
Der Sprung vom Boden in die Luft kam mit dem slowenischen Hersteller Pipistrel, der 2020 das erste EASA-zertifizierte Elektroflugzeug für die Ausbildung auf den Markt brachte. In Nordrhein-Westfalen wurde daraufhin eines der ersten deutschen Forschungsprojekte zum elektrischen Fliegen gestartet. „Wir wollten zeigen, dass das kein reines Zukunftsthema ist, sondern bereits funktioniert – auch im Ausbildungsbetrieb“, so Müller.
Heute werden an Flugschulen wie in Essen oder Aachen bereits Pilotinnen und Piloten auf elektrischen Flugzeugen ausgebildet. Die Flugschule Westflug setzt dafür beispielsweise das Modell Pipistrel Velis Electro ein. TFC Käufer in Essen kooperiert zudem mit Condor, sodass auch deren Nachwuchspiloten klimafreundlich trainieren können.
Europa im Aufbruch – Norwegen als Pionier
Auch auf europäischer Ebene tut sich viel. Daniel Tandoi beschreibt die Dynamik: „Wir erleben, dass sich die Entwicklung vom Kleinflugzeug langsam zu größeren Geräten mit mehr Reichweite bewegt. In den Niederlanden etwa plant Elysian bis 2033 einen 90-Sitzer mit bis zu 800 Kilometern Reichweite – rein elektrisch.“
Norwegen gilt beim elektrischen Fliegen als Pionierland. Kurze Distanzen, zahlreiche Regionalflugplätze und nahezu unbegrenzter Zugang zu Wasserkraftstrom machen das Land zur idealen Testarena. „Norwegen hat das Ziel, den kommerziellen Kurzstreckenflug zu elektrifizieren“, erklärt Tandoi. „Das ist kein Laborprojekt, sondern ein konkretes, staatlich gefördertes Programm. Dort fliegen heute schon täglich Elektroflugzeuge im Ausbildungsbetrieb. In Norwegen führt Bristow das Pilotentraining auf der BETA Alia durch.“
Auch die Industrie zeigt wachsende Ambitionen. Mit der BETA Alia kooperiert unter anderem UPS, das die Maschine bereits für die Expresszustellung testet. Auch in China gibt es vielversprechende Entwicklungen zu beobachten.
Chancen und Herausforderungen
Die Vorteile liegen auf der Hand: Elektrisches Fliegen kann leiser, lokaler und energieeffizienter sein. Peter Müller erklärt: „Ein Elektroflugzeug verbraucht rund 15 bis 17 Kilowattstunden auf 100 Kilometer – das entspricht einem Mittelklasse-Elektroauto. Nur fliegt man eben dreidimensional, ohne Straßenverkehr.“
Hinzu kommen neue Möglichkeiten für die Infrastruktur. Flugplätze könnten zu lokalen Energieinseln werden – mit Photovoltaik, Speichertechnik und emissionsfreiem Betrieb am Boden. Schon jetzt werden viele Flughäfen klimaneutral umgerüstet: Bodenstromgeräte, elektrische Pushback-Traktoren und emissionsfreie Servicefahrzeuge gehören zunehmend zum Standard.
Darüber hinaus eröffnet die Geräuscharmut elektrischer Flugzeuge ganz neue Perspektiven für die Nutzung des Luftraums.
„Wenn Flugzeuge kaum noch Lärm verursachen, müssen wir auch über bisherige Restriktionen wie das Nachtflugverbot neu nachdenken“, sagt Peter Müller. „Leises, sauberes Fliegen könnte künftig sogar dann möglich sein, wenn andere längst schlafen – ohne Anwohner zu stören.“
Yannik Hampe betont die strategische Bedeutung: „Das elektrische Fliegen ist ein wichtiger Baustein, um den Luftverkehr nachhaltiger zu machen. Es wird nicht alle Probleme lösen, aber es kann zeigen, dass klimafreundliche Luftfahrt machbar ist.“
Auch wenn Großflugzeuge auf Langstrecken noch Jahrzehnte von elektrischen Antrieben entfernt sind, beginnt der Wandel im Kleinen. Yannik Hampe zieht den Vergleich zur Frühzeit der Luftfahrt: „Die Brüder Wright sind auch nicht gleich mit 300 Passagieren über den Atlantik geflogen. Alles begann mit kleinen Hüpfern – und heute bewegen wir Millionen Menschen sicher durch die Luft. Genauso wird es beim elektrischen Fliegen sein.“
Perspektive: Kurzstrecke elektrisch, Mittelstrecke mit Wasserstoff
Ein mögliches Zukunftsszenario ist, dass sich das elektrische Fliegen zunächst auf Kurzstrecken durchsetzen wird – etwa im Regional- oder Ausbildungsbetrieb. Für mittlere Distanzen mit 50 bis 200 Passagieren gilt Wasserstoff, der ebenfalls zur Familie des elektrischen Fliegens zählt, als vielversprechendster Energieträger. „Wir könnten künftig verschiedene Technologien parallel sehen“, sagt Daniel Tandoi. „Kurzstrecken elektrisch, Mittelstrecken wasserstoffbasiert – und für Langstrecken werden Sustainable Aviation Fuels die Brücke bilden, bis neue Antriebe reif sind.“
Gleichzeitig mahnen die drei VC-Mitglieder, das Thema zwar positiv, aber realistisch zu begleiten. Batterieentwicklung, rechtliche Rahmenbedingungen und Ausbildungsstrukturen müssen Schritt halten. Die wichtigste Bedingung ist zudem, dass die Sicherheit genauso gewährleistet ist wie bei herkömmlichen Flugzeugen. Und: Es braucht politische wie gesellschaftliche Offenheit, um die Chancen dieser Technologie voll ausschöpfen zu können.
Elektrisch Fliegen – ein Erfahrungsbericht: https://www.vcockpit.de/newsroom/vc-info/elektrisch-fliegen-ein-erfahrungsbericht/