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Die Aktiven der VC nehmen an vielen Meetings, Konferenzen, Panels, etc. teil, um die Interessen der Cockpitcrews zu vertreten. Das Spektrum der möglichen Themen ist breit, was sich schon an der Anzahl unserer Flight Safety Arbeitsgruppen zeigt, doch auch hier gibt es immer mal wieder Überraschungen. So wurde die VC eingeladen, im April 2025 an einer Konferenz der Nuclear Energy Agency (NEA) in Brüssel teilzunehmen. Ein doch eher seltener Blick über den Tellerrand in ein anderes High Risk Environment (HRE).
Die Konferenz in Brüssel widmete sich der COVID-19-Pandemie, ihren Auswirkungen und den Lehren, die die Nuklearindustrie daraus ziehen kann. In einer Vielzahl von Vorträgen wurden unterschiedliche Facetten der Pandemie und ihre Folgen für die Branche beleuchtet – mit dem Ziel, besser auf künftige Krisen vorbereitet zu sein.Die Nuklearindustrie war natürlich, wie alle anderen Bereiche des Lebens, von Covid betroffen und musste mit eigenen Herausforderungen umgehen. Im Unterschied zur Luftfahrt wurde das Endprodukt jedoch weiterhin nachgefragt: der Stromverbrauch ist während der Pandemie nur um wenige Prozentpunkte zurückgegangen und Elektrizität war als Teil der kritischen Infrastruktur weiterhin nachgefragt. Die Industrie hatte jedoch mit anderen Problemen zu kämpfen: Kurzarbeit oder drohender Arbeitsplatzverlust waren weniger Themen als die Verfügbarkeit ausreichender (gesunder) Arbeitskräfte und der Umgang mit Problemen in der Versorgungskette. Vergleichbar waren Herausforderungen beim Erhalt und Training von Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Auch hier gibt es für die Operator der Kraftwerke Simulationen und Trainings, wie wir es aus der Luftfahrt kennen. Ebenso muss das Wartungspersonal geschult werden und auf akzeptablem Übungsstand bleiben.
Wie auch in der Luftfahrt werden vergangene Krisen und Zwischenfälle in der Nuklearindustrie genutzt, um gegenüber zukünftigen Krisen resilienter zu werden. Einschneidende Ereignisse wie 9/11 oder 4U9525 gibt es in der Nuklearindustrie mit Tschernobyl oder Fukushima ebenso. Auch hier wurden Lehren gezogen. Covid-19 hat neue Herausforderungen mit sich gebracht. So war man bisher auf zeitlich begrenzte Krisen vorbereitet. Die lange Phase der Störung des Normalbetriebs während der Pandemie mit verschobenen Wartungsintervallen und Trainings war etwas, auf das man sich nicht vorbereitet hatte. Auch die veränderte oder fehlende Kommunikation war nicht vorhersehbar.
So waren dann auch einige der Lehren, dass sich die Industrie zukünftig nicht nur auf singuläre und kurzfristig wirkende Krisen vorbereiten müsste, sondern auch langanhaltende Krisen vorbereitet werden müssen. Damit einher geht auch die wahrscheinlichere Möglichkeit multipler Krisen. So kam es während der Pandemie zu keinem nuklearen Zwischenfall, doch ein solches Szenario sollte in zukünftigen Trainings vorbereitet werden.
Als zentral wurde auch die mentale Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkannt – ein Thema, das sowohl in der Nuklearindustrie als auch in der Luftfahrt zunehmend an Bedeutung gewinnt. In der Luftfahrt rückte das Thema bereits nach dem Vorfall um Flug 4U9525 verstärkt in den Fokus; durch die Corona-Pandemie wurde es in vielen Bereichen zusätzlich intensiviert. Dabei geht es nicht nur um mentale Gesundheit im engeren Sinne, sondern auch um das Konzept der psychologischen Sicherheit, das in beiden Branchen eine wesentliche Rolle spielt. Prof. Jan Hagen (ESMT Berlin), mit dem die VC bereits zusammengearbeitet hat, beleuchtete in seinem Vortrag die Zusammenhänge zwischen psychologischer Sicherheit und der Bereitschaft, Probleme offen anzusprechen und Zwischenfälle zu melden. Ein Thema, das auch im Rahmen von Just Culture und einer aktiven Fehlerberichtskultur in der Luftfahrt von großer Relevanz ist – denn nur wenn Mitarbeiter ein hohes Maß an psychologischer Sicherheit empfinden, werden Vorfälle zuverlässig gemeldet, und die Organisation kann daraus lernen und sich weiterentwickeln.
Insgesamt war die Konferenz ein spannender Blick in ein anderes High Risk Environment, mit der Chance Kontakte zu knüpfen und weitere Beispiele für den Umgang mit Risiken zu sehen. Die Aufarbeitung der Pandemie und ihrer Folgen auf wissenschaftlichem Niveau und innerhalb einer globalen Vernetzung waren eindrückliche Beispiele für eine positive Fehlerkultur und eine Industrie, die aus bisherigen Herausforderungen gestärkt in die Zukunft gehen möchte.