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Gastbeitrag

Nasser, heißer, heftiger

Das Wetter verändert sich

Die Fliegerei findet bekanntlich draußen in der Natur statt. Wir bewegen unsere Flugzeuge in verschiedenen Klimazonen, verbunden mit unterschiedlichen Herausforderungen. Der Klimawandel wird diese Herausforderungen teils grundlegend verändern. Wir erleben gerade eine Zeit, in der immer häufiger immer schwerere Wetterphänomene auftreten. Zeit, sich darüber ein paar Gedanken zu machen.

Ich führte vor einiger Zeit mal einen Transatlantikflug durch, als «Pilot Flying», also am Steuer. Bei der Entscheidung über die Treibstoffmenge, die wir mitnehmen wollten, lag mein Vorschlag deutlich über dem gesetzlichen Minimum. Der Vorschlag meines Kollegen war erheblich näher dran. Nach längerer Diskussion einigten wir uns auf eine Menge in der Mitte.

Der Flug verlief ereignislos, der Anflug und die Landung auch, und wir rollten ans Gate mit einer üppig bemessenen Restmenge an Treibstoff in den Tanks. Von links ertönte ein fast schon wütendes «Siehst du, viel zu viel Sprit!». Mag sein. Zu viel ist aber immer noch besser als zu wenig.

Anderer Tag, andere Destination, anderer Kollege: Wir hatten sehr ähnliche Vorstellungen, was die Wunschmenge im Tank anging. Das Wetter versprach unspektakulär zu werden, laut Wetterbericht sei weit und breit kein Wölkchen am Himmel zu erwarten. So weit so gut, bis wir vor Ort mehrere zwar isolierte, aber in der Ausbreitung durchaus beeindruckende Gewitter antrafen. Die sorgten natürlich für Chaos in der Region, wir mussten einige größere Ausweichmanöver fliegen und landeten mit einer ordentlichen Verspätung. Aus dem vorhergesagten fast windstillen Anflug wurde ein wilder Ritt mit 30 Knoten Seitenwind. Natürlich war immer noch genug Treibstoff da, um notfalls noch etwas warten zu können oder durchzustarten. Aber weil das Wetter eben so gut vorhergesagt war und sich dann doch noch so deutlich und unerwartet verschlechterte, hatten wir auch nicht üppig viel mehr Treibstoff dabei.

Der Klimawandel ist in vollem Gange und Wetterphänomene in extremen Ausmaßen sind längst nicht mehr auf die klassischen Regionen wie Südostasien oder Afrika beschränkt. Das Jahr 2023 kann sich meteorologisch durchaus sehen lassen. Nach einem relativ warmen Winter folgte ein teils stürmisches Frühjahr. Einem milden Frühsommer folgten dann einige Tage mit starkem Wind und mitunter heftigen Gewittern. Die Datenbank European Severe Weather Database verzeichnete zwischen Jahresbeginn und Ende Juli knapp 29.000 Ereignisse in Europa und Nordafrika. Den größten Teil davon machen Ereignisse mit besonders starkem Wind aus, gefolgt von Gewittern und Hagelstürmen – allesamt Phänomene, die der Fliegerei Probleme bereiten können.

El Niño

Dazu kommt das Phänomen El Niño. Im pazifischen Raum werden derzeit El-Niño-Bedingungen festgestellt, sein Eintreten dieses Jahr gilt damit als sicher. Obwohl die genaue Entstehung dieses Phänomens bis heute nicht ganz geklärt ist, lässt es sich stark vereinfacht durch schwächer werdende Passatwinde im Pazifik beschreiben. Normalerweise drücken diese Winde das küstennahe Wasser Südamerikas hinaus auf den Pazifik, wodurch kälteres Wasser in Richtung Küste nachströmt und die Temperatur an Land reduziert. Werden die Passatwinde schwächer oder fallen ganz aus, findet dieser Austausch nicht mehr statt – in der Folge fließt nun warmes Wasser nach Südamerika, die Lufttemperatur steigt. Daraus folgen dann teils heftige Wetterentwicklungen. Länder wie etwa Indonesien müssen mit steigenden Temperaturen rechnen, teilweise sogar mit Dürren. In Südamerika sorgt El Niño regelmäßig für heftige Niederschläge und Überschwemmungen.

In Europa sorgt das Phänomen ebenfalls für heftige Wettererscheinungen, vor allem in Form von Gewittern und Hagelstürmen. Forscher der ETH Zürich und der Uni Bern konnten zudem schon 2004 nachweisen, dass El Niño in Europa für ungewöhnlich kalte Winter sorgen kann. Für die Fliegerei in Europa bedeutet El Niño also traditionell ein herausforderndes Jahr: Heftige Gewitter im Sommer, ungewöhnlich viel Schnee im Winter.

Langfristiger Trend oder doch nur Ausreißer?

Ob sich tatsächlich ein Trend hin zu langfristig mehr extremen Wettererscheinungen abzeichnet, ist indes schwierig zu erkennen. Zwar gibt es in den letzten Jahren mehr heftige Gewitter als sonst, allerdings sind statistische Ausreißer langfristig gesehen nichts Ungewöhnliches. Will heißen, nur weil es mal ein paar Jahre wettermäßig etwas wilder zugeht, muss dieser Trend nicht zwangsläufig auch in Zukunft so weitergehen. Eine neue Disziplin in der Meteorologie beschäftigt sich genau damit: Die Attributionsforschung. Dieser Zweig untersucht einzelne Wetterphänomene daraufhin, ob sie natürlich entstanden sind oder ob sie dem durch den Menschen verursachten Klimawandel zuzuordnen sind. Die Forschung konnte indes feststellen, dass der Klimawandel allgemein dafür sorgt, dass das Auftreten extremer Wetterereignisse einerseits wahrscheinlicher wird. Andererseits führt er dazu, dass die tatsächlich auftretenden Ereignisse dann heftiger ausfallen, als es ohne den Klimawandel der Fall wäre. Dazu erstellen die Forscher gewissermassen virtuelle Parallelwelten, die darstellen, wie das Wetter ohne Klimawandel aussehen würde, und vergleichen diese mit den wirklichen Wetterbedingungen. 

Folgen für die Fliegerei

So weit, so gut, die Welt wird heißer und stürmischer. Auf unsere tägliche Arbeit wirkt sich das unmittelbar aus. Wenn damit zu rechnen ist, dass mehr Gewitter und Stürme auftreten, wird sich das zwangsläufig häufiger auch in unserer Flugplanung bemerkbar machen. Wenn, wie Forscher erwarten, die auftretenden Phänomene zudem statistisch gesehen heftiger werden, bedeutet das, dass wir unsere eigene Interpretation des Wetterberichts vielleicht anpassen müssen. Ein «TSRA» (Thunderstorm and Rain – so wird ein Gewitter im Flugwetterbericht bezeichnet) im Jahr 2024 bedeutet dann unter Umständen ein komplett anderes Gewitter als damals 1990. Unter Umständen ist es größer, hält länger an und bringt vielleicht heftigere Begleitumstände mit sich, was Scherwinde, Niederschlag und Vereisung angeht. Das Problem: Wir wissen es nicht. Am Boden haben wir noch die Möglichkeit, uns über Satelliten- und Radarbilder einen detaillierteren Blick zu verschaffen. Dabei handelt es sich aber um eine Momentaufnahme, die unter Umständen acht Stunden später völlig anders aussieht. Stärkere Wetterphänomene können auch bedeuten, dass sich die Bedingungen schneller verändern, als wir das bisher gewohnt waren.

Delta Airlines 185

Wie heftig ein Sommergewitter sein kann, erlebten kürzlich die Crew und Passagiere von Delta Airlines Flug 185. Ende Juli hob die Boeing 767 vom Flughafen Mailand-Malpensa Richtung New York City ab. Der Flugwetterbericht des Flughafens gibt für die Zeit des Starts moderate Gewitter mit verhältnismäßig leichtem Wind an. Der Flieger startete, drehte nach dem Start in Richtung Westen und stoppte den Steigflug auf 23.000 Fuß. Direkt nach dem Start bekam das Flugzeug die volle Kraft des Gewitters zu spüren. Obwohl es der Crew leidlich gelang, das Zentrum des Sturms zu umfliegen, wurde die 767 derart heftig von Hagelkörnern malträtiert, dass die Piloten sich zu einer Notlandung in Rom entschieden. Nach etwas über einer Stunde landeten sie sicher in Roma-Fiumicino. Glücklicherweise wurde niemand verletzt, das Flugzeug hingegen erlitt substanzielle Schäden. Wie auf den Bildern zu erkennen ist, durchschlugen die Hagelkörner an mehreren Stellen sogar die Tragflächen, die Nase wurde völlig zerstört.

Wie heftig die Gewitter in Norditalien an diesem Tag waren, zeigt ein eindrucksvoller Rekord: In Azzano Decimo, etwa 90 Kilometer nordöstlich von Venedig und etwa 300 Kilometer östlich von Mailand, fiel mit 19 Zentimetern Durchmesser der bislang größte in Europa gemessene Hagelbrocken vom Himmel. Der alte Rekord von 16 Zentimetern hatte damit gerade einmal fünf Tage lang Bestand.

Gerade Hagel ist kritisch vorherzusagen. Für seine Entstehung braucht es das Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Einerseits muss das Gewitter möglichst energiereich sein, um die nötigen Aufwinde erzeugen zu können. Die sorgen dafür, dass noch kleine Eisgebilde nicht der Schwerkraft folgen und zu Boden fallen, sondern im Gewitter gehalten werden und dort weiter anwachsen können. Außerdem muss möglichst viel Feuchtigkeit in der Luft enthalten sein, sodass sich große Eiskristalle bilden und verbinden können. Gerade in Norditalien finden sich beste Bedingungen für derartige Hagelstürme, da hier feuchte, warme und damit sehr energiereiche Luft aus dem Mittelmeerraum gegen die Alpen gedrückt wird. Meteorologen rechnen aber damit, dass sich ähnliche Phänomene auch nördlich der Alpen in Zukunft häufen werden, wenn sich auch hier die Luft in Folge des Klimawandels weiter erwärmt. Problematisch ist, dass derartige Phänomene nur schwer vorhergesagt werden können. Ist es schon schwer, Zeit und Ort eines lokalen Gewitters zu prognostizieren, wird es bei Hagel noch komplexer. Zu vielfältig sind die Faktoren, die zur Hagelbildung führen. Somit kann praktisch nur grob vorhergesagt werden, ob eine bestimmte Wettersituation die Bildung von Hagel wahrscheinlicher macht oder nicht. Wo er dann tatsächlich herunterkommt, hängt von der Topografie, der Zusammensetzung der Luftmassen, der Zugrichtung des Gewitters und vielen anderen Faktoren ab. Delta Airlines 185 ist der Beweis dafür, dass das großräumige Umfliegen eines Gewitters mitunter überlebenswichtig sein kann. Und der Fall zeigt auch, wie leicht es ist, ein Gewitter zu unterschätzen. Es sind eben nicht nur Scherwinde, Blitzschlag und Niederschläge in unmittelbarer Nähe des Gewitters, die uns das Leben schwer machen können.

Die richtige Technik könnte helfen

Was Wetterbeobachtung angeht, bewegen wir uns im Flug leider immer noch im finstersten Mittelalter. Wir verlassen uns auf ein Wetterradar, der in den 1980er Jahren entwickelt wurde. Wir können zwar die aktuellen Wetterbedingungen und Vorhersagen von Flughäfen abrufen, diese beschränken sich aber immer noch auf reine Textnachrichten. Und die sagen wenig bis gar nichts darüber aus, wie langanhaltend ein Wetterphänomen ist, wie groß es ist oder wie es sich voraussichtlich entwickelt. Darüber hinaus müssen wir die kryptischen Textbausteine einzelner Flughäfen dann zu einem überregionalen Gesamtbild zusammensetzen, um einen Überblick zu erhalten. Ob dieses Gesamtbild dann stimmt, weiß niemand. Dabei ließe es sich so einfach lösen – wenn wir im Flug Zugriff hätten auf aktuelle Satelliten- und Radarbilder. Diese sind frei verfügbar im Internet. Mit einer brauchbaren Internetverbindung wäre das kein Problem, zahlreiche Airlines arbeiten seit Jahren damit.

SWISS arbeitet seit geraumer Zeit zusammen mit einer App-basierten Dienstlösung, um irgendwann einmal auch im Flug aktuelle Wetterbedingungen visualisiert abrufen zu können. Bis das Wirklichkeit wird, bleibt uns weiterhin nur die Nutzung der textbasierten Wetterdaten mit all ihren Unzulänglichkeiten. 

Wir müssen uns als Piloten daran gewöhnen, dass das Klima sich verändert und mit ihm das Wetter, das einer der Haupteinflußfaktoren auf unsere tägliche Operation ist. Wir müssen akzeptieren, dass unsere aus Erfahrungen gewonnenen Vorstellungen eines Sommergewitters oder Wintersturms unter Umständen nicht mehr so ganz korrekt sind. Will heißen, wir müssen davon ausgehen, dass zum Beispiel ein Gewitter heftiger sein könnte, als die Gewitter, die wir früher mal erlebt haben. In der Operation hat der Klimawandel aber noch weitere Auswirkungen als nur über extreme Wetterbedingungen. Die verfügbare Leistung eines Triebwerks hängt elementar von der vorherrschenden Temperatur ab – je wärmer es ist, desto geringer ist die Luftdichte, desto geringer ist die Leistung des Triebwerks. Gerade im nicht optimalen Setup am Flughafen Zürich, das aus politischen Gründen häufig Starts am Limit der Leistungsfähigkeit erzwingt, könnte das vermehrt Probleme mit sich bringen. Es ist sowieso schon schwierig, eine vollbeladene A340 bei maximalem Startgewicht in Zürich starten zu lassen, wenn die Wetterbedingungen nicht mitspielen. Wenn also vermehrt heiße Sommertage zu erwarten sind, wird das unter Umständen Einfluss auf die Beladung haben. Man könnte also nur noch mit einem teils deutlich reduzierten Startgewicht starten, die Frachtmenge müsste angepasst werden. Damit hätte der Klimawandel eine ganz direkte Wirkung auf die Wirtschaftlichkeit eines Flugs. Ein kleines Rechenbeispiel: Eine A340 mit maximalem Startgewicht von 275 Tonnen kann bei normalen Bedingungen von 15 Grad Celsius problemlos in Zürich von Piste 16 aus starten. Liegt die Temperatur an einem heißen Sommertag bei 35 Grad Celsius, geht das schon nicht mehr. Das Gewicht müsste um mehr als zehn Tonnen reduziert werden – auf Kosten von teurer Fracht.

Im Winter zeigt sich für die Schweiz, dass die Winter im langfristigen Trend wärmer werden, aber dafür feuchter. Wenn Schneetage seltener werden, werden auch operationelle Hindernisse wie Pistensperrungen zur Schneeräumung seltener. Allerdings werden statistisch gesehen trockene Wintertage seltener, weshalb unsere Flugzeuge unter dem Strich unter Umständen häufiger enteist werden müssen als heute. Das wiederum kostet die Airlines sowohl bares Geld als auch kostbare Zeit. 

Damit fährt der Klimawandel uns als Piloten gleich mehrfach in die Parade. Einerseits müssen wir voraussichtlich häufiger das Startgewicht reduzieren, was uns aus wirtschaftlicher Sicht nicht gefällt. Andererseits müssen wir uns häufiger auf heftigere Wetterbedingungen unterwegs einstellen, bräuchten also statistisch gesehen häufiger mehr Treibstoff. Wenn wir mehr Treibstoff mitnehmen möchten, während wir aber gleichzeitig beim Startgewicht eingeschränkt sind, müssen wir unter Umständen Fracht stehen lassen, was wir aus besagten wirtschaftlichen Gründen gern vermeiden würden. Wir Piloten müssen also wieder einmal einen Spagat schaffen – wir müssen die Folgen des Klimawandels in Form heftiger Wetterphänomene antizipieren und gleichzeitig das strenge Korsett berücksichtigen, das uns die unselige Kombination von Klimawandel und Wirtschaftlichkeit in der Operation vermehrt aufzwingen wird. Wie gut, dass wir so flexibel sind!