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Sicherheit in der Luftfahrt – ein Update der AG AAP

Rückblick und Ausblick auf Themen der Arbeitsgruppe Accident Analysis and Prevention

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Nach nun über einem Jahr Pandemie hat sich die Luftfahrt noch immer nicht sortieren können. Jedes Land stellt neue Maßnahmen, Regeln und Vorgaben auf. In dieser Umgebung zu arbeiten, erfordert ein sehr hohes Maß an Flexibilität. Die Dynamik und Geschwindigkeit von Änderungen, Updates und Neuerungen ist dabei hoch. Wir als Pilotenschaft, die teilweise monatelang in Kurzarbeit keine Praxis erlebt, stehen dann vor unserem ersten Flug nach längerer Pause einer Flut aus Neuerungen und Themen gegenüber. Dies hat zwangsläufig einen Einfluss auf die Sicherheit in der Luftfahrt. Das Gute ist, dass sowohl Fluggesellschaften als auch Behörden und andere an der Luftfahrt beteiligte Organe sich dieser Thematik bewusst sind.

Expertise national und international einbringen

Die Vereinigung Cockpit verfügt über verschiedene Arbeitsgruppen, bestehend aus aktiven, engagierten, ehrenamtlichen Pilotinnen und Piloten, die auch jetzt versuchen, sich einzubringen und in Eurem Sinne die Sicherheit unseres Berufstands kontinuierlich zu verbessern. Eine dieser Arbeitsgruppen ist die AG AAP (Accident Analysis and Prevention). Wie die Langform es vermuten lässt, schauen wir auf Flugunfälle und halten den Kontakt zur Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU). Die angesprochene dynamische Umwelt, in der wir uns beruflich bewegen, erfordert eine ganzheitliche Betrachtung und resiliente Handhabung, wenn wir das angestrebte Sicherheitsziel der Branche von maximal einem schweren Unfall pro Jahrhundert erreichen wollen. Keiner von uns wird sich wohl mit der alten „fly crash fix fly“-Methode mehr zufriedengeben wollen. Und alles als Fehler der Pilotinnen und Piloten „abzubügeln“, ist erwiesenermaßen weder zeitgemäß noch legitim. Betriebe und Behörden sind daher dazu übergegangen, Sicherheit (in diesem Artikel mit Safety gleichgesetzt) aktiv zu managen und höher anzusiedeln. Das Ganze findet sich sogar bei der ICAO im eigenen Annex 19: „Safety Management Systems“. Während wir seitens der AG AAP bisher auch viele Einzelthemen begleitet haben, gehen wir nun einen Schritt weiter und werden zukünftig unsere Expertise im Bereich Safety Management-Systeme, Risikomanagement, Just Culture, Reporting und Safety II samt derer Förderung einbringen und ausbauen. Dabei stellen natürlich weiterhin Flugunfälle oder Zwischenfälle eine wichtige Grundlage dar, aus der Fakten gewonnen werden können und Kernthemen identifizierbar bleiben. 

Was heißt also „Expertise einbringen“? Neben der Erstellung unseres Aviation Safety Concepts (ASC) arbeiten Mitglieder der Arbeitsgruppe auf deutscher, europäischer oder internationaler Ebene mit. Konkret umfasst unser Engagement derzeit die Mitarbeit in einer Unterarbeitsgruppe beim BMVI, bei der ECA, IFALPA und ICAO sowie einen vertraulichen Austausch mit der BFU. Wir bemühen uns dabei darum, unsere Sicht und unsere Erlebnisse bei Behörden- und Industrievertretern sowohl national, aber auch europäisch und international offen zu legen. Dabei ist unsere Position objektiv und im Sinne der Sicherheitsverbesserung losgelöst vom heimischen Flugbetrieb. Dies wird wichtig, wenn man beispielsweise gegenüber Behördenvertretern Missstände benennen möchte, aber keine negativen Konsequenzen für Flugbetriebe provozieren will. Wir sind davon überzeugt, dass Vertrauen, Respekt und Offenheit unter allen Beteiligten im Bereich Safety unerlässlich sind. 

Deutsches Flight Safety Forum

Aus diesem Gedanken heraus entstand auch das Deutsche Flight Safety Forum, bei dem die Vereinigung Cockpit neben der DFS, BFU und dem General Flugsicherheit der Bundeswehr ein Gründungsmitglied ist. Dieses Forum wird ebenfalls seitens der AG AAP betreut. Mit diesem Hintergrund, dem guten Kontakt zur BFU und geschulten Flugunfalluntersuchern der AG betreuen wir auch aktiv das Notfalltelefon im Bereich Zwischenfall/Unfall (Incident/Accident). In dieser Ausgabe der VC Info berichten wir über einen Test des Notfalltelefons, um Euch einen Einblick in unsere Arbeit zu geben (siehe Seite 10).

Was passiert 2021 in der AAP?

2021 wollen wir weiter nutzen, um uns verstärkt den oben genannten Themen zu widmen. Dabei planen wir, das Thema „Just Culture“ mit besonderem Blick auf Deutschland aufzuarbeiten. Denn eins ist deutlich aufgefallen: Dieses Thema ist noch immer nicht selbstverständlich und angekommen. Medial fiel der Lufthansa-Cargo-Fall auf, bei dem auch die Arbeitsgruppe der Techniker involviert ist. Eine Kommentierung kann frühestens erfolgen, wenn alle Informationen und Fakten vorliegen. Und dafür sorgen die Spezialisten der BFU. Wenn ich mich aber in der Belegschaft umhöre, so erlebe ich ein Selbstverständnis von „Melden befreit von Verfolgung - wir haben doch eine Just Culture“. Dass hier „Just Culture“ wohl als „nur (eine absolut non-punitive) Kultur“ fälschlich übersetzt scheint, liegt auf der Hand. Richtig ist aber, dass die Unternehmenskultur vor allem eins sein soll: „Gerecht“. Und dies erlangt man nicht durch Freibriefe für Fahrlässigkeit, sondern durch eine ausgewogene Handhabung nach dem Prinzip „irren ist menschlich“ und „bewusstes Gefährden ist nicht tolerierbar“. Wer in das deutsche Luftverkehrssicherheitsprogramm schaut, wird dort einen Text vorfinden, der eine Redlichkeitskultur propagiert, wie sie auch in der Europäischen Verordnung (EU) Nr.376/2014 oder im ICAO Annex 19 angedacht ist. Jedoch wird man dort auch über einen Verweis vom BAF stolpern, laut dem Bußgelder als disziplinarisch aufgefasst werden, um einen Sicherheitsgewinn zu erzielen. Neben diesen Ansätzen wird der Nutzen von Ordnungswidrigkeitsverfahren als disziplinarischer Ansatz zur Verbesserung der Sicherheit angebracht. In Verbindung mit dem alltäglichen Fliegen weiß man: Eine Ordnungswidrigkeit ist schneller erflogen als man glaubt. War es jetzt 23:00 oder noch 22:59:59? Der falsche Modus war aktiviert und das Luftfahrzeug hat eine vorgeschriebene Höhe überschossen? Wir alle kennen diese Problematiken. Aber wie handhabt das BAF die Thematik? Wie sieht es international aus? Hauptamtliche der VC-Abteilung Flight Safety arbeiten ebenfalls an dieser Thematik und haben aktiv den Kontakt zum BAF in dieser Sache aufgebaut. Gemeinsam wollen wir für Euch dieses Themenfeld weiter engagiert aufarbeiten und versuchen, Euch diesbezüglich über unsere VC Info im „Loop“ zu halten. Dazu könnt ihr hier den aktuellen Artikel zum Austausch mit dem BAF lesen.

Es ist ein Teil und gleichzeitig ein Herzstück eines jeden Safety Management-Systems: Das Reporting. Das Berichtswesen ist mittlerweile gesetzlich verankert und bietet viele Möglichkeiten, die Sicherheit zu verbessern. Es geht einher mit einer Just Culture und setzt auch Ressourcen voraus, die zur Auswertung, Aufarbeitung und Beantwortung erforderlich sind. Die staatlichen Datenbanken und jene von den Flugzeugherstellern liefern gute Informationen, die einen erheblichen Einfluss auf die Präventionsarbeit haben können. Wie es so schön heißt: „Bevor es schief geht“. Doch auch hier: Wie wird mit den Daten umgegangen? Was macht das LBA hier? Sind meine Ängste vor Repressalien berechtigt? „Es ändert doch eh nichts“… Legitime Ansicht?

Neben dem Reporting steht die Verbesserung der Sicherheit über eine Datenanalyse von Flugdaten in unserem Fokus, allgemein als FDM oder FODA bekannt. Auch auf diesem Themengebiet schauen wir auf legislative Änderungen und versuchen, uns entsprechend einzubringen. Die gesammelten Flugdaten verbleiben in den Flugbetrieben oder werden unter Datenschutzauflagen beim Flugzeughersteller gesammelt. Da eine Vielzahl von Daten notwendig ist, um eine gute Auswertung und Ableitung von Sicherheitsthemen zu erwirken, wäre es jedoch ein gutes Ziel, anonyme Daten gemeinschaftlich zu sammeln und auswerten zu können.  

Um die benannten Themen zu bearbeiten, ist es nicht nur für Mitarbeiter der Safety-Abteilungen bei Fluggesellschaften oder Mitarbeiter der Luftfahrtbehörden essenziell, Sachverständnis zu Risikomanagement aufzuweisen, sondern für jeden, der in dem Themenfeld aktiv ist. Daher ist auch das Risikomanagement als solches ein Themenbaustein unserer AG. 

Das Erlangen einer resilienten Unternehmensführung, bei der aktiv in der hyperdynamischen Umwelt der Luftfahrt sicher agiert wird und proaktive bis prädiktive Verfahren etabliert sind, ist eine herausfordernde aber zielführende Perspektive. Sicherheitsmanagement unter Berücksichtigung von Safety II ist zwar zukunftsweisend und wir unterstützen den prädiktiven Ansatz, jedoch sehen wir noch „alte Grundlagenthemen“ als nicht ausreichend implementiert, sodass wir Safety II thematisch mitbetreuen, jedoch unseren Fokus auf Grundlagenthemen belassen.