Visualisierung der Boom Overture. Quelle: Boom Supersonic

Flight Safety

Überschall und nachhaltiger Luftverkehr – passt das zusammen?

Die Coronakrise hat den Planeten aus ökologischer Sicht ein wenig durchatmen lassen, aber spätestens nach dem fulminanten Neustart des Luftverkehrs im Sommer 2022 ist klar: die Anstrengungen im Bereich Nachhaltigkeit sind in der Luftfahrt (wie in vielen anderen Branchen) dringender denn je. Erfreulicherweise nimmt sich auch die Vereinigung Cockpit dieses wichtigen Themas mit der neu gegründeten "Task Force Environmental" an, weshalb dieser kleine Beitrag zum Thema überschallschneller Luftverkehr auch im Kontext der verschiedenen Betrachtungen zur Nachhaltigkeit gesehen werden kann.

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Vor einigen Wochen machte eine Nachricht in der Luftfahrtcommunity die Runde, die sicherlich in vielen Kreisen eher als Randnotiz wahrgenommen wurde, jedoch aufgrund der darin vorkommenden Luftverkehrsgesellschaft und ihrer Marktmacht nicht unbedingt ignoriert werden kann: American Airlines (immerhin nach Flottengröße die weltweit größte Fluggesellschaft) hat 20 Exemplare des geplanten Überschalljets "Overture" der Firma "Boom Supersonic" bestellt. American tritt dabei bereits in die Fußstapfen eines weiteren Airline-Giganten, United Airlines, die bereits im Jahr 2021 ihr Interesse an 15 Jets des noch in der Entwicklung befindlichen Überschallpassagierflugzeugs mit einer Kaufabsichtserklärung geäußert haben, samt Optionen für weitere 35 Einheiten. Andere Interessenten für die Boom Overture sind derweil Japan Air Lines und Virgin Galactic. Das alles mag ein großer "Publicity Stunt" sein, um als vermeintliches Innovationsunternehmen in die Schlagzeilen zu kommen. Oder ist da doch mehr dran?

Mach 2,2 - Mach 5 - Mach 9

Boom Supersonic ist jedenfalls nicht das einzige Unternehmen, das sich vorgenommen hat, Überschallpassagierflüge wieder zur Realität werden zu lassen, nachdem vor rund 19 Jahren der letzte Concorde-Flug stattgefunden hat und damit das zivile Überschallzeitalter erst einmal vorüber war. Es gibt noch andere Anbieter, wie z.B. das Start-Up Unternehmen "Hermeus", das ab 2029 einen 20-sitzigen Hyperschall-Jet auf den Markt bringen will, der sogar Mach 5 erreichen soll und wofür Hermeus schon 176 Millionen US-Dollar bei teilweise recht namhaften Geldgebern einsammeln konnte. Zu erwähnen wäre zudem noch das Projekt "Stargazer" der texanischen Firma "Venus Aerospace", die mit schwindelerregenden Mach 9 ins Rennen gehen und dabei behaupten, das Ganze sogar CO2-neutral gestalten zu können, was die Glaubhaftigkeit ihres Vorhabens zugegebenermaßen etwas strapaziert. Das CO2-Thema führt uns aber zur ursprünglichen Fragestellung zurück: lassen sich nachhaltiger Luftverkehr und Überschallflug miteinander verbinden oder schließen sie sich gänzlich aus?

Ein Blick zurück in die Geschichte lässt die Überschallfliegerei erst einmal ökologisch äußerst ungünstig dastehen: so lag der Verbrauch der Concorde mit rund 20t pro Stunde etwa doppelt so hoch wie der einer Boeing 747-400, wobei der rund Mach 2,2 schnelle Jet nur etwas mehr als ein Viertel der Passagiere des "Jumbo-Jets" befördern konnte. Die auf den Treibstoff bezogene "Transportleistung", die man vereinfacht auch in eine "Umweltgüte" übersetzen könnte, wäre damit fast um Faktor 8 schlechter als bei der 747. Wenn man allerdings den Faktor Zeit in die Leistung mit einbezieht (wie es physikalisch ja auch nur korrekt wäre) so ist die rund doppelt so schnelle Concorde "nur" noch viermal so schlecht wie die 747. Aber zum Grundsätzlichen:

Was bedeutet eigentlich Überschall im Hinblick auf den Leistungsbedarf?

Hierzu müssen wir einmal in sehr knapper Form in die Grundlagen der Aerodynamik einsteigen. So kennen die meisten die Luftwiderstandformel F = rho/2 * Cw * A * v^2 . Aus ihr wird erkennbar, dass die Luft bei einer festen Dichte "rho" (die, wie wir wissen, natürlich höhenabhängig ist) und einem festen "Cw-Wert" (den man u.a. auf die Form des durch die Luft bewegten Objekts zurückführen kann und der oft auch als Luftwiderstandbeiwert bezeichnet wird) sowie einer festen Querschnittsfläche "A" schließlich vom Quadrat der Geschwindigkeit abhängt, d.h. also: doppelt so schnell, viermal so viel Luftwiderstand.

Wenn man Leistung nach Newton'scher Mechanik also als P=F*v, also Kraft mal Geschwindigkeit definiert, führt somit eine doppelte Geschwindigkeit zu einem achtfachen (!) Leistungsbedarf. Da dies grundsätzlich für das gesamte Geschwindigkeitsspektrum der Fliegerei gilt, stellt sich die Sache somit bereits recht eindeutig dar: immer schneller bedeutet unverhältnismäßig mehr Leistungs- und Energiebedarf. Grundsätzlich ist es auch genau so, nur wird es im transsonischen und supersonischen Bereich noch einmal spannend.

Der Widerstandsbeiwert Cw ist grundsätzlich eine recht charmante Art, viele strömungsmechanische Einzelphänomene formabhängig zusammenzufassen, die alle zum gesamten Strömungswiderstand beitragen. Dieser setzt sich nämlich zusammen aus Druck-, Reibungs-, Interferenz-, induziertem und Wellenwiderstand.

Nun ist es allerdings so, dass der Widerstandsbeiwert nur in einem inkompressiblen Medium mehr oder weniger geschwindigkeitsunabhängig bleibt (hier ist er lediglich von der Viskosität des Mediums und der sog. charakteristischen Länge abhängig – beides wird ausgedrückt in der sog. Reynoldszahl). Wird das Medium allerdings kompressibel, wie es im hohen Unterschallbereich aufgrund der Aufstauung und dadurch forcierten Kompression immer stärker der Fall ist, dann ändert sich der Cw-Wert auch unabhängig von der Reynoldszahl. Dies ist primär ein Resultat des sich im sog. transsonischen Bereich (also um Mach 1 herum) bemerkbar machenden Wellenwiderstands, der aus Druckerhöhungen an angeströmten, bzw. Druckminderungen an abgewandten Kanten entsteht, was zu einem starken Anwachsen des Cw-Werts um Mach 1 herum führt.

Der Luftwiderstandsbeiwert eines Flugkörpers kann hierbei durchaus ein Vielfaches seines Wertes im niedrigen Unterschallbereich annehmen, sinkt dann allerdings jenseits von Mach 1 bei spitzen Körpern wieder langsam ab um sich im höheren Überschallbereich je nach Formgebung an einen nahezu konstanten Wert anzunähern. Als Faustregel und lediglich zur Abschätzung der Größenordnung (da das Ganze wie gesagt formabhängig ist) kann man festhalten, dass dieser annähernd konstante Überschall Cw-Wert bei ca. dem doppelten Unterschallwert liegt.

Damit wird klar, dass neben dem kubisch (also mit der dritten Potenz der Geschwindigkeit) steigenden Leistungsbedarf noch ein besonders hoher Energieaufwand für das „Durchbrechen“ von Mach 1 notwendig ist, der dann im höheren Überschallbereich wieder nachlässt, jedoch keinesfalls geringer wird als beim Unterschallflug.

Wellenreiter der Lüfte

Nun gibt es allerdings noch einen besonders smarten Ansatz, die bereits erwähnte (Druck-)-Wellenbildung im hohen Überschallbereich zur Widerstandsreduktion zu nutzen, und zwar indem das Luftfahrzeug auf der Druckwelle "reitet", das heißt die entstehenden Druckwellen zur Auftriebserzeugung nutzt. Man nennt dies auch einen "Kompressionsauftrieb". Da dieser wiederrum die klassische Auftriebserzeugung verringert, wird der dabei sonst entstehende induzierte Widerstand (der aus dem Druckausgleich zwischen den Zonen unterschiedlichen Drucks der Tragfläche entsteht) reduziert, bei guter Auslegung um bis zu 30%.

Neben den aerodynamischen Fragen gibt es allerdings auch noch solche, die die Antriebstechnologie betreffen. Für hohe Geschwindigkeiten ist aus mechanischen Effizienzgründen das sogenannte Staustrahltriebwerk oder "Ramjet" interessant, da es für die Verdichtung der Luft, anders als konventionelle Triebwerke, ohne bewegte Teile auskommt und die Luft rein durch die Anströmgeschwindigkeit in einer Brennkammer verdichtet. Dass es dabei nicht "aus dem Stand" heraus starten kann, sondern erst einmal durch andere Antriebstechniken auf eine gewisse Geschwindigkeit gebracht werden muss, sei für unsere Überlegungen nicht von Relevanz.

Eine zusätzliche Herausforderung ergibt sich für den Ramjet im Überschallbereich, wo die beim Triebwerkseintritt entstehende Verdichtung zu hohen Temperaturanstiegen führt, was einen thermodynamischen Effizienzverlust verursacht, da sich die Eintrittstemperatur dabei der Austrittstemperatur annähert. Abhilfe schafft hier die recht komplexe Verbrennung des Treibstoff-Luftgemischs in einer Überschallströmung (die eine vorherige Aufstauung durch Abbremsen der Luft vermeidet), was allgemein als "Supersonic Combustion Ramjet" oder kurz "Scramjet" bezeichnet wird. Scramjets haben ihre höchste Effizienz im Bereich zwischen Mach 3 und Mach 5 und können theoretisch sehr gut mit Wasserstoff als Brennstoff arbeiten, wo zusammen mit den oben genannten Effizienzsteigerungen (z.B. durch das "Wellenreiten") ein gewisses Potenzial für einen nachhaltigen Überschallluftverkehr liegt.

Umweltpolitische und technische Herausforderungen des Überschallfluges

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Der Überschallflug braucht sehr viel Energie und die umweltpolitischen und technischen Herausforderungen der konventionellen Luftfahrt betreffen somit auch (und sogar in verstärktem Maße) eine hypothetische Neuaufnahme der Überschallzivilluftfahrt. Zugleich gibt es Möglichkeiten, den Überschallflug mit großer technischer Finesse und hohem Entwicklungsaufwand verhältnismäßig effizient zu gestalten, insbesondere dann, wenn hier die Möglichkeiten zum Einsatz von Scramjets und Wellenreitern genutzt werden. Aber auch dann bleibt der Energieaufwand und Leistungsbedarf deutlich höher als beim Unterschallflug, so dass letztlich die Treibstoffe und deren Emissionsbilanz entscheidend bleiben.

Ein mit grünem Wasserstoff betriebener Scramjet-Wellenreiter könnte also durchaus ein nachhaltiges Überschalltransportflugzeug der Zukunft sein. Damit müsste allerdings zunächst die Herstellung großer Mengen grünen Wasserstoffs gewährleistet sein und es müssten sich Investoren finden, die bereit sind, die extrem teure Entwicklung der Wellenreiter- und Scramjet-Technologie voranzutreiben. Dass es am Überschallgeschäft durchaus Interesse gibt, zeigen die oben genannten Beispiele von Boom Overture und anderen. Boom plant allerdings nach eigenen Angaben den Einsatz von Sustainable Aviation Fuels (SAF), was jedoch aufgrund des hohen Energiebedarfs im Überschallflug und den heutigen Kosten von SAF beinahe genauso herausfordernd klingt wie ein Wasserstoffkonzept.

Dass die Antriebsfrage durchaus komplex ist und den entsprechenden Glauben an die Zukunft der Überschallfliegerei voraussetzt, zeigt auch der kürzliche Absprung von Rolls-Royce als geplantem Technologiepartner im Overture Projekt. Der britische Triebwerkshersteller bekannte dabei ganz offen, "dass der Markt für Überschalltriebwerke für die kommerzielle Luftfahrt derzeit keine Priorität" für ihn habe. Triebwerksneuentwicklungen rechnen sich in der Regel nur, wenn ein Triebwerksmuster in einer ganzen Typenfamilie zum Einsatz kommt und das ist beim zumindest anfänglich kleinen Marktsegment neuer Überschallzivilflugzeuge derzeit nicht zu erwarten. Hier wäre eventuell ein zusätzlicher Einsatz auf militärischer Seite interessant, um sich so herstellerseitig mehr Abnehmer für ein neues Scramjet-Triebwerk zu sichern. Und tatsächlich wurde auf der Farnborough Airshow im Juli 2022 bekannt, dass Boom Supersonic über eine Kooperation mit dem Rüstungskonzern Northrop Grumman die Overture auch als "Supersonic Special-Mission Aircraft" anbieten möchte. Möglicherweise liegt also das Marktpotenzial in einer zivil-militärischen Kooperation.

Es bleibt jedenfalls spannend und letztlich wohl auch eine Frage der individuellen Markteinschätzung, ob sich Innovation und Investition gemeinsam auf die lange Reise hin zu nachhaltigem Überschallluftverkehr wagen. Das wäre heute nicht weniger riskant und mutig als die Entscheidung Frankreichs und Großbritanniens vor fast genau 60 Jahren, im gemeinsamen Verbund die Mach 2 schnelle Concorde zu bauen. Auch damals sind andere ähnliche Vorhaben, wie z.B. Boeing‘s Supersonic Transport (SST) im Sande verlaufen. Die Concorde dagegen hat Geschichte geschrieben. Nachhaltig im ökologischen Sinne war sie dabei allerdings nicht. Das wird sich für kommende Überschallverkehrsflugzeuge ändern müssen.