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Einleitung
In unserer Serie „Was war nochmal…“ lautet die heutige Frage: Wie weit kann ein Flugzeug einer bestimmten aerodynamischen Güte mit einem gewissen Anteil an bewegter Materie und einem anderen Teil Treibstoff, der auf dem Flugweg verbrennt und mit einer gewissen Effizienz in Vortriebskraft bzw. -leistung umgewandelt wird, eigentlich fliegen?
Diese scheinbar simple, aber dann doch nicht ganz triviale Frage hat sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, also quasi in der Frühphase des Luftfahrtzeitalters, der französische Flugzeugpionier (und Mitbegründer der späteren Air France) Louis Charles Breguet (1880-1955) gestellt.
Louis Charles Breguet
Naturwissenschaft und Technik waren Breguet durch seine familiäre Herkunft gewissermaßen in die Wiege gelegt: er war Enkelsohn des Uhrmachers und Physikers Louis Clément François Breguet (Uhren der Marke Breguet gibt es bis heute). Der Enkel entwickelte sich dabei zu einem echten Multitalent: Ganz der Praktiker als Konstrukteur von Flugzeugen und späterer Gründer der Société Anonyme des Ateliers d’Aviation Louis Breguet, die eine ganz beträchtliche Zahl von Flugzeugen baute, zugleich experimenteller Forscher und Entwickler beispielsweise eines für die damalige Zeit sehr fortschrittlichen Windkanals zur genaueren Erforschung der Tragflächenaerodynamik, und darüber hinaus auch tätig in Bereichen der Elektrotechnik, des U-Bootbaus und der Automobiltechnik.
Fotografie Louis C. Breguet (Zur Ansicht klicken)
Aber Breguet war auch ein versierter Theoretiker, der ganz nach ingenieurwissenschaftlichen Standards technische Zusammenhänge in mathematischer Form darzustellen vermochte und damit auch der wissenschaftlichen Seite des Flugzeugbaus eine solide Grundlage gelegt hat.
Ein bekanntes Beispiel hierfür ist seine Reichweitenformel, mit der sich Breguet ein für alle Mal in die Annalen der Luftfahrtgeschichte katapultiert hat und genau diese bekannte Formel wollten wir uns heute einmal in Erinnerung rufen, indem wir sie herleiten und erläutern, da sie einerseits aufgrund ihrer Einfachheit und Aussagekraft von einer gewissen ästhetischen Schönheit ist, zugleich aber auch ein essenziell wichtiges Werkzeug in der analytischen Ingenieursbetrachtung von „Flugmaschinen“ darstellt.
Herleitung der Reichweitenformel
Auch wenn Breguet zunächst kolbengetriebene Flugzeuge im Blick hatte (für welche sich die Formelherleitung nur in wenigen Details unterscheidet) beginnen wir heute unser Gedankenexperiment mit einem strahlgetriebenen Flugzeug, das bei konstanter Geschwindigkeit beschleunigungsfrei (in jeder Dimension) durch die Luft fliegt. Hierbei wird es von Strahltriebwerken angetrieben, die dafür sorgen, dass der Reibungs- und Druckwiderstand entgegen der Flugrichtung (in der Horizontalachse, oder nennen wir sie x-Achse) durch eine gleich große Vortriebskraft kompensiert wird. Die gewählte Fluggeschwindigkeit wiederum sorgt in der y-Achse (der Vertikalachse) dafür, dass der von der Formgebung des Flugzeugs und seinen Tragflächen produzierte Auftrieb die Gewichtskraft m * g (also Masse m mal Gravitationskonstante g = 9,81m/s2) ausgleicht. Seitenkräfte wirken auch keine, somit können wir von der zuvor erwähnten Beschleunigungsfreiheit sprechen.
Nun verbraucht das Flugzeug Treibstoff und produziert damit Schub, und das in einem Verhältnis, das Auskunft über die Effizienz der Triebwerke gibt. Man nutzt hierfür in der Regel die Größe des „spezifischen Treibstoffverbrauchs“ (oder engl. sfc= specific fuel consumption oder auch manchmal thrust specific fuel consumption), wobei sfc=dm/(dt * F) ist, d.h. Treibstoffmasse dm pro Zeit dt und Schubkraft F.
Das durch den Treibstoffverbrauch pro Zeiteinheit dt verringerte Gewicht (dw=dm*g) des Flugzeugs ist dann
dw/dt = -g*dm/dt = -g*sfc*F
Da die Schubkraft F den Widerstand D (drag) vom Betrag her ausgleichen muss, können wir auch schreiben:
dw/dt= -g*sfc*D
Nun ist ja zugleich w (also das jeweils aktuelle Gesamtgewicht des Flugzeugs) vom Betrag her im Horizontalflug gleich der Auftriebskraft L (lift).
Somit kann man die Formel wie folgt umbauen:
dw/dt= -g*sfc*w/(L/D) um damit den Ausdruck L/D verwenden zu können, der das
Auftrieb/Widerstandsverhältnis des Flugzeugs beschreibt, eine wichtigen aerodynamische Größe, die auch als Gleitzahl E (relevant insbesondere im antriebslosen Gleitflug) bezeichnet wird.
Die Gleichung lässt sich wiederum umbauen zu:
dw/w= -g*sfc*dt/(L/D), wobei man über die Fluggeschwindigkeit V=ds/dt das Zeitinkrement dt auch ausdrücken kann als dt=ds/V
Eingesetzt in die obige Gleichung ergibt sich daraus:
dw/w= -g*sfc*ds/(V*(L/D))
Der letzte Schritt wird gewählt, um das Streckeninkrement ds mithilfe eines Integrals aufsummieren zu können, um dann die Gesamtflugstrecke oder Reichweite S = ∫ ds zu erhalten:
∫ ds = - V*(L/D)/(g*sfc)* ∫1/w dw
Daraus folgt:
S= - V*(L/D)/(g*sfc)* ln (wend/wstart)
Hierbei ist im Ergebnis der natürliche Logarithmus ln(x) die Stammfunktion und somit das Verhältnis von Anfangs- und Endgewicht (wend bzw. wstart) des Flugzeugs entscheidend für die Reichweite S.
Die Funktionskurve von f(x)=ln(x) sieht wie folgt aus und wir werden im Weiteren ein paar wesentliche Erkenntnisse aus der Reichweitenformel ableiten:
Funktionskurve (Zur Ansicht klicken)
Erkenntnisse aus der Formel
1.) Strukturelle Aspekte
Da (wend/wstart) immer <=1 ist, kommen für den Ausdruck ln (wend/wstart) negative Werte heraus, die durch das Minuszeichen vor dem Gesamtausdruck für S wieder ins positive gedreht werden. Zugleich nimmt der Betrag von ln (wend/wstart) bei einem kleiner werdenen Verhältnis von Endgewicht zu Anfangsgewicht stark zu, was naheliegend ist, da bei einem höheren Anteil von Treibstoff am Startgewicht die Reichweite steigen muss. Zugleich sind der Auslegung von Flugzeugen eben genau hier Grenzen gesetzt: Indem man nämlich versucht, das Verhältnis wstart/wend im Sinne einer Reichweitenoptimierung über das Verhältnis großer Treibstoffkapazitäten bei wenig Eigengewicht und Transportgewicht (payload) zu maximieren, kommt man an die strukturellen Grenzen eines Flugzeuges. Ein immer leichter gebautes Flugzeug müsste immer größere Massen an Treibstoff transportieren und könnte dabei zudem immer weniger Lasten tragen.
2.) Aerodynamische und Antriebsaspekte
Ansonsten ist natürlich die aerodynamische Güte des Flugzeugs wichtig und je höher das Verhältnis L/D (oder anders ausgedrückt die Gleitzahl E), desto besser für die Reichweite. Auch das war bereits mit gesundem Menschenverstand zu vermuten, ebenso wie die Tatsache, dass ein geringer sfc-Wert (also wenig Treibstoffverbrauch für eine gegebene Schubkraft, oder anders gesagt schlichtweg effizientere Triebwerke) die Reichweite erhöht (der sfc Faktor steht ja in der Formel im Nenner).
Nun noch zur Geschwindigkeit V, die ja im Zähler steht und somit zunächst evtl. die voreilige Schlussfolgerung zulässt, dass man einfach Reichweite gewinnen kann, indem man schneller fliegt. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass sich schnelles Fliegen in der Regel stark auf die Faktoren Gleitzahl und spezifischer Treibstoffverbrauch auswirkt. Hier kann einem der Blick auf die berühmte, rund Mach 2 schnelle Concorde helfen: Während ein typisches Unterschallverkehrsflugzeug Gleitzahlen um die 20 und einen sfc-Wert von etwa 0.55 hat, wies die Concorde eine (Überschall-)Gleitzahl von nur 8 und einen sfc-Wert von 1.2 auf. Beides dämpft den positiven Reichweiteneffekt der hohen Geschwindigkeit erheblich. Tatsächlich ist es primär die Herausforderung der Entwicklung eines Überschallantriebs mit niedrigem sfc-Wert, der dem Konzept von effizienten Langstrecken-Überschallflugzeugen bis heute im Wege steht.
3.) Betriebliche Aspekte
Eine weitere interessante Betrachtung lässt sich aus Breguet’s Reichweitenformel ableiten. Hierzu erinnern wir uns zunächst daran, dass der Luftwiderstand (vereinfacht) mit
D = rho/2 * cw * A * V2 (rho ist dabei die Luftdichte)
beschrieben werden kann, und analog dazu der Auftrieb L mit
L = rho/2 * cl * A * V2
L/D lassen sich somit auch durch Kürzen als Verhältnis des Auftriebsbeiwerts zum Widerstandsbeiwert cl / cw schreiben. Diese sind abhängig vom Anstellwinkel und wenn wir den Ausdruck V*L/D= V*cl / cw in der Reichweitenformel als konstant annehmen (in aller Regel liegt der im Reiseflug gewählte Anstellwinkel an einem optimierten Betriebspunkt (cl / cw)max, also mit dem besten Gleitverhältnis) so muss bei kontinuierlich reduziertem Fluggewicht auch die Flughöhe kontinuierlich ansteigen, da L=-w und bei V=konst., A (Bezugsfläche)= konst. und cl = konst. nur noch rho (Luftdichte) sinken kann um L zu reduzieren, was über einen „continuous climb“ in höhere Schichten der Atmosphäre ermöglicht wird.
Zusammenfassend kann man daher zu den betrieblichen Aspekten sagen, dass eine optimale Ausnutzung der theoretischen maximalen Reichweite eines gegebenen Flugzeugs während des Treibstoffverbrauchs den kontinuierlichen Steigflug erfordert, was ja operationell durch „step climbs“ annäherungsweise versucht wird, in der Realität der Flugsicherungswelt aber (bis auf wenige Ausnahmen über dem Pazifik) nicht in Reinform umsetzbar ist.
Fazit
Auch wenn die hier hergeleitete Formel viele vereinfachte Annahmen enthält (so wird beispielsweise die Abhängigkeit des Faktors sfc von der Fluggeschwindigkeit und Flughöhe vernachlässigt oder auch die gesamte Start- und Landephase), so ist sie doch ein sehr aussagekräftiger theoretischer Beitrag zur Auslegung und Bewertung von Flugzeugen. Breguet’s Reichweitenformel bleibt daher in ihrer ingenieurwissenschaftlichen „Strahlkraft“ bis heute beeindruckend.
Darüber hinaus hat Louis Charles Breguet auch mit seinen vielen anderen bahnbrechenden Aktivitäten der Luftfahrt ein beeindruckendes Vermächtnis hinterlassen und sein berühmter Name lebt bis in die jüngere Vergangenheit insb. durch seine Tätigkeit als Konstrukteur von Flugzeugen (und entsprechender Nachfolgefirmen) in Typenbezeichnungen fort, so beispielsweise im Seeaufklärer BR 1150, der (Dassault) Breguet Atlantique, die bis 2007 auch in Deutschland für die Bundeswehr zum Einsatz kam.