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Flight Safety

Was war nochmal…die Ruderumkehr?

In unserer Reihe „Was war nochmal…?“ möchten wir uns heute mit einem elementaren Phänomen der Flugsteuerung beschäftigen, das in der kommerziellen Luftfahrt mit modernen Großflugzeugen weitestgehend in Vergessenheit geraten ist, da es mithilfe von Fly-by-Wire-Technologie in aller Regel „wegreguliert“ wird. Die physikalische Kenntnis des durchaus nicht ungefährlichen Phänomens ist aber insbesondere bei direkter Kontrolle der Steuerflächen im manuellen Flug weiterhin wichtig. 

Was passiert bei der Ruderumkehr?

Das Phänomen einer Ruderumkehr ist grundsätzlich bei allen Steuerflächen möglich, äußert sich jedoch in aller Regel nur an den Querrudern und somit in der Rollbewegung eines Flugzeugs. Der Effekt ist in seiner vollen Ausprägung eine umgekehrte Wirkung der Querruder, d.h. bei einem Querruderausschlag zur einen Seite rollt das Flugzeug zur jeweils entgegengesetzten Seite, was durchaus zu massiven Schwierigkeiten bis hin zum Kontrollverlust über das Flugzeug führen kann. Auf dem Weg zur vollausgeprägten Ruderumkehr gibt es allerdings – je nach Ursache – eine schleichende Reduktion in der Wirkung der Querruder. Die genaueren Hintergründe einer Ruderumkehr wollen wir im Folgenden behandeln. 

Die Steuerfläche als Tragfläche

Bei der Betrachtung der Steuerflächen eines Flugzeugs soll es heute primär um die Querruder gehen, die bekanntlich für die Drehung des Flugzeugs um die Längsachse genutzt werden. Dabei verhalten sich die Steuerflächen grundsätzlich wie eigene kleine Tragflächen, deren Auftriebs- oder Abtriebswirkung je nach gewähltem Anstellwinkel des Ruders (als Resultat seines Ausschlags), über die Distanz zur Flugzeuglängsachse als Hebel, für ein Drehmoment um eben diese Achse sorgen. Mit dem vereinfachten Modell als „Mini-Tragfläche“ unterscheidet sich ihre Wirkungsweise ganz erheblich vom „Spoiler“, der oft in einseitiger Anwendung ebenfalls für die Rollbewegung von Flugzeugen eingesetzt wird, worauf wir später nochmal eingehen werden. Als Tragfläche unterliegt das Querruder somit denselben Gesetzmäßigkeiten wir ihr großes Pendant und kann Strömungsabrisse, kompressionsbedingte Vibrationen (Buffeting) und Ähnliches erfahren.

Wie wir sehen werden, gibt es nun zwei grundsätzliche Arten der Ruderumkehr.

Die aerodynamische Ruderumkehr 

Wir rufen uns zunächst einmal eine sog. „aufgelöste Auftriebspolare“ eines Tragflügels in Erinnerung, bei der die Darstellung des Auftriebsbeiwerts ca an der Ordinate über dem Anströmwinkel an der Abszisse aufgetragen wird. Diese wird als „aufgelöst“ bezeichnet, da sie anders als das sonst übliche Polardiagramm (das oft auch nach seinem Erfinder „Lilienthal-Polare“ genannt wird) einen direkten Bezug zum Anstellwinkel Alpha herstellt.

 

Wie aus der Tragflügeltheorie bekannt, steigt der Auftriebsbeiwert bis zu einem maximalen Anstellwinkel Alphamax an, bei dessen Überschreiten die Strömung dann abreißt, was mit einem mehr oder weniger abrupten Auftriebsverlust einhergeht. Die Heftigkeit dieses Auftriebsverlusts ist abhängig vom individuellen Auftriebsprofil, wobei man allgemein sagen kann, dass Hochleistungs- bzw. Schnellflugprofile (sog. superkritische Profile) mit optimiertem Auftriebs-Widerstandsverhalten bei höheren Geschwindigkeiten (was sich in aller Regel in einer sehr schlanken Profildicke widerspiegelt) zu einem abrupteren Verhalten beim Strömungsabriss neigen, als dickere Langsamflugprofile. 

All das gilt nun auch für das Querruder als „Mini-Tragfläche“ und so, wie beim Langsamflug eines Flugzeugs der Anstellwinkel durch positive („nose up“) Längsneigung vergrößert werden muss, um gemäß der Auftriebsformel 

Fa=1/2*ca*rho*v2  

die niedrige Anströmgeschwindigkeit v durch einen höheren Auftriebsbeiwert ca zu kompensieren, so muss auch das Ruder entsprechend stärker ausgeschlagen werden um ein gewünschtes Drehmoment um die Längsachse zu erzeugen. Sollte dabei die Fluggeschwindigkeit so langsam sein und das gewünschte Drehmoment so hoch (z.B. bei einem schnellen Ausweichmanöver) dass Alphamax erreicht und überschritten wird, so bricht die Ruderwirkung ein und kehrt sich sogar ggf. dadurch um, dass die vom Strömungsabriss verursachten Verwirbelungen eine Gegenkraft an Ruder und Tragfläche induzieren. 

Auch kann bei bereits begonnener Längsachsendrehbewegung das der Drehung entgegengesetzte Gesamtdrehmoment bei plötzlich einbrechender Ruderwirkung wie ein Gegenausschlag wirken. Allgemein lässt sich allerdings feststellen, dass es sich bei der aerodynamischen Ruderumkehr durch Strömungsabriss an den Steuerflächen eher um einen plötzlichen Ruderkraftverlust als um eine unmittelbare Umkehr handelt.

Zusätzlich zu dem oben beschriebenen Phänomen, das von einer stationären Strömung ausgeht, gibt es natürlich noch das Phänomen instationärer Strömungsabrisse durch abrupte Steuerausschläge, die zu einer Ablösung der Strömung um die Steuerfläche führen können. Letzteres stellt insbesondere im Schnellflug bei direkter Ansteuerung der Querruder und übermäßigen Steuereingaben eine reale Gefahr dar.

Die aeroelastische Ruderumkehr 

Eine weitere mögliche Ursache für die Ruderumkehr liegt weniger unmittelbar im strömungsmechanischen Bereich als in der Elastizität der Tragfläche, an der das Querruder befestigt ist.
Hierbei findet sich ein klarer Bedarfswiderspruch im modernen Flugzeugbau: Schnelle Flugzeuge, also jene, die für den hohen Unterschallbereich ausgelegt sind, benötigen stark gepfeilte Tragflächen mit schmalen Profilen um ihren Druckwiderstand zu reduzieren und zudem die kritische Machzahl (also jene Machzahl, bei der erste Bereiche der Tragflächenströmung in den Überschallbereich übergehen, was mit z.T. heftigen Vibrationen und Auftriebsverlust einhergeht) zu erhöhen.

Das wiederum steht oftmals einer Konstruktion der Tragfläche mit einer hohen Torsionsfestigkeit entgegen, mit anderen Worten: Schnellflugtragflächen neigen zum „Verwinden“, also einer Torsion um die Querachse des Flugzeugs, sobald Außenkräfte an der Vorder- oder Hinterkante der Tragfläche auf sie einwirken – ganz so, wie es ein Querruder grundsätzlich tut und zwar jeweils in die entgegengesetzte Richtung zum Ruderausschlag.


Wenn die aeroelastische Torsion besonders stark ist, kann sie den Anstellwinkel des Tragflächenbereichs vor dem Querruder so stark in die Gegenrichtung auslenken, dass eine zum Ruderausschlag entgegengesetzte Kraftwirkung entsteht und sich tatsächlich die gewünschte Steuerwirkung umkehrt. 

Lösungen zum Problem der Ruderumkehr

Während die Problematik der aerodynamischen Ruderumkehr zunächst einmal recht einfach durch eine Begrenzung der Querruderausschläge bei niedrigen Fluggeschwindigkeiten zu lösen ist, so stellt sich natürlich die Frage, wie hierbei eine zu starke Einschränkung der Beweglichkeit des Flugzeugs um die Längsachse vermieden werden kann. Dabei kommt der oben erwähnte einseitige Spoilerausschlag auf der Tragflächenoberseite zum Einsatz, der aufgrund seiner Aufhängung und Umströmungscharakteristik nicht den Problemen der Ruderumkehr unterliegt und bei der Erzeugung größerer Roll-Drehmomente im Langsamflugbereich unterstützen kann. Er hat dabei noch den Vorteil, dass er dem negativen Wendemoment entgegenwirkt, das normalerweise bei der „hängenden“ Tragfläche (also jener in Richtung des Kurvenflugs) einen niedrigeren induzierten Widerstand erzeugt als bei der aufsteigenden Fläche und somit eine Gierbewegung um die Hochachse entgegen der Kurvenrichtung bewirkt.

Die „Mischung“ verschiedener Steuerflächen (Querruder und Spoiler) in Abhängigkeit von der Fluggeschwindigkeit ist somit die Lösung, welche schon auf mechanischer Basis lange vor dem Einsatz elektronischer Flugsteuerungssysteme aufkam. Außerdem hat sich bei vielen Flugzeugtypen schon früh (ebenfalls mechanisch) die Nutzung von innen- und außenliegenden Querrudern (Inboard/Outboard Ailerons) durchgesetzt, wo bei höheren Fluggeschwindigkeiten die äußeren Querruder aufgrund übermäßiger aerodynamischer Kräfte und entsprechender Tragflächenverwindung inaktiv werden und man lediglich die innenliegenden Querruder ansteuert.

Das Problem der aeroelastischen Ruderumkehr wiederum ließe sich einerseits durch höhere Steifigkeit der Tragfläche lösen, was aber zulasten des Gewichts und der strukturellen Bruchfestigkeit das Flugzeugs ginge, weshalb auch hier oftmals durch eine mechanische und (in jüngster Zeit vermehrt) elektronische Flugsteuerung eine Begrenzung des Querruderausschlags bzw. eine fluggeschwindigkeitsabhängige Mischung verschiedener Steuerflächen (inkl. einseitiger Spoiler) genutzt wird, um die Torsionslast an der Tragfläche im strukturellen Toleranzbereich zu halten.

Fazit

Die Ruderumkehr ist ein flugphysikalisches Phänomen mit einem gewissen Gefahrenpotenzial, das heute allerdings aufgrund ausgereifter Dämpfungs-, bzw. Mischtechniken (mechanisch, elektromechanisch oder elektronisch) im Einsatz der Steuerflächen kaum noch eine sicherheitskritische Rolle spielt. Dennoch ist es insbesondere im manuellen Flug mit direkter Ansteuerung wichtig, diese Phänomene zu kennen, um sie in bestimmten Flugphasen vermeiden bzw. bei Auftreten interpretieren zu können. 

Abschließend sei noch ein berühmtes Flugzeug mit großer historischer Bedeutung erwähnt, das aufgrund seiner hohen Fluggeschwindigkeit und dem Wunsch nach vergrößerten Querrudern zur Verbesserung der Manövrierfähigkeit als Jagdflugzeug in der Weiterentwicklung an die strukturellen Design-Grenzen der Tragflächenverwindung und dabei auftretender Ruderumkehr stieß: Die britische Supermarine Spitfire. Erst nachdem die Tragflächenspitzen zum Zwecke der aerodynamischen Lastenreduktion geometrisch verändert wurden und die Torsionssteifigkeit der Tragfläche verstärkt werden konnte, war eine Lösung des Problems gefunden und die Spitfire ging als Heldin der „Luftschlacht um England“ in die Geschichtsbücher ein.


Quellen