Presse BfK

Verfassungswidriges Stückwerk

Gastbeitrag: Gerhart Baum warnt eindringlich vor einem Gesetz zur Tarifeinheit.

Auf dem Deutschen Juristentag hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in der letzten Woche die übliche Abstimmung über Reformvorschläge zum zentralen Thema der Tarifeinheit verhindert. Die Begründung: Die bald zu erwartenden Gesetzesentscheidungen zur Tarifeinheit sollten nicht „gestört“ werden. Der Juristentag stand auch unter dem Eindruck der für die Befürworter vernichtenden Argumente im Gutachten des ehemaligen Vorsitzenden Richters am Bundesarbeitsgericht Prof. Klaus Bepler. Welche Gesetzesentscheidungen konkret zur Tarifeinheit vorgesehen sind und nicht „gestört“ werden sollen, ist aber immer noch unklar. Anfang September fand ein Treffen zwischen dem Bundeskabinett und Spitzenvertretern von Arbeitgeberseite und (ausschließlich Mehrheits-)Gewerkschaften hierzu statt, ohne dass Vertreter der in erster Linie betroffenen Berufsgewerkschaften vertreten waren. Hiernach soll gesetzlich festgeschrieben werden, dass künftig der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb maßgeblich ist. Was die Regelung für das Streikrecht der Minderheitsgewerkschaften bedeutet, sollen nach diesem Plan ggf. die Gerichte entscheiden. Die Bundesregierung strebt damit ein verfassungswidriges Stückwerk an, dessen Lücken von den Gerichten ausgefüllt werden sollen. Die Gerichte werden aber bis zum Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass ein solches Gesetz verfassungswidrig sein wird.

Mit einem Gesetz zur Tarifeinheit werden nämlich für die Minderheitsgewerkschaften das Recht zum Abschluss wirksamer Tarifverträge und zu hierauf gerichteten Streiks unzulässig eingeschränkt.

Die Bundesregierung begründet den Plan zur Tarifeinheit damit, dass angesichts konkurrierender Gewerkschaften eine Vervielfachung der Streiks droht. Tatsächlich gibt es  kein solches Streikchaos. Es ist auch nicht zu erwarten. Deutschland ist immer noch eines der Länder mit den geringsten arbeitskampfbedingten Ausfallzeiten. Gerade die Berufsgewerkschaften haben besonders wenige Streiktage pro Kopf zu verzeichnen. Auch liegt die Anzahl der Streiktage seit 2010, als das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der Tarifpluralität offiziell bekräftigt hat, konstant unter dem langjährigen Durchschnitt. Die Berufsgewerkschaften bestehen auch bereits seit Jahrzehnten und vertreten seither ihre Mitglieder – z.B. die GDL seit über 140 Jahren, der Marburger Bund seit 67 Jahren und die Vereinigung Cockpit seit 46 Jahren. Allerdings haben sich die Berufsgewerkschaften in letzter Zeit emanzipiert und eigene Tarifverhandlungen geführt, da sich ihre Mitglieder in den Einheitsgewerkschaften nicht mehr angemessen vertreten fühlen.

Eine gesetzliche Tarifeinheit wäre keineswegs zur „Eindämmung“ der Anzahl von Streiks geeignet: Auch eine „Einheitsgewerkschaft“ muss auf die von ihr vertretenen Berufsgruppen eingehen und für sie ggf. spezielle Tarifregelungen mit Streiks erkämpfen. Dies zeigen gerade im Bereich der Daseinsvorsorge die Beispiele der Müllabfuhr und der Kindergärten, deren Beschäftigte ausschließlich von ver.di vertreten werden. Hier ginge eine Regelung zur Tarifeinheit ins Leere. Daher wäre auch eine Beschränkung der Tarifeinheit auf den Bereich der Daseinsvorsorge verfassungswidrig: Es gibt Abgrenzungsschwierigkeiten, wann es sich um einen Betrieb im Bereich der Daseinsvorsorge handelt, insbesondere bei Unternehmen im privaten Wettbewerb (Verkehr/Transport, Telekommunikation, Energieversorgung, Sozialeinrichtungen, Banken/Versicherungen). Eine Sonderregelung für die Daseinsvorsorge muss zudem gleichermaßen für alle Gewerkschaften (u.a. auch ver.di) gelten, so dass sie nicht im Zusammenhang mit Tarifpluralität oder Tarifeinheit steht.

Der Gesetzgeber sollte das Vorhaben der Tarifeinheit aufgeben, wenn er keinen verfassungsrechtlichen Schiffbruch erleiden will. Der DGB ist sich offenbar nicht bewusst, auf welche schiefe Ebene er gerät. Die Arbeitgeber handeln sich einen Streit ein, den sie am Ende verlieren werden. Statt einer gesetzlichen Regelung können Streikexzesse auf bewährte Weise im Einzelfall nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerichtlich verhindert werden. Ein faktisches Gewerkschaftsverbot durch ein Tarifeinheitsgesetz ist weder zulässig noch notwendig.

 

 

Die Kanzlei Baum, Reiter und Collegen berät die Vereinigung Cockpit und wird notfalls Verfassungsbeschwerde gegen ein mögliches Gesetz zur Tarifeinheit einlegen. Die Kanzlei hat bislang vier Verfassungsbeschwerden durchgefochten, alle waren erfolgreich. Gerhart Baum war einer der Kläger gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das die Karlsruher Richter im Jahre 2010 für verfassungswidrig und nichtig erklärten. Die weiteren erfolgreichen Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen den „Großen Lauschangriff“, gegen das Luftverkehrssicherheitsgesetz und gegen die Online-Durchsuchung.