Abbildung 1: Terminal 1 mit Hauptpier des BER, die letzten Busse des Probebetriebs sind noch zu sehen (Quelle: Stephan Weißenborn)

Flight Safety

Alles neu am BER?!

Ein Überblick zu den Betriebsverfahren am neuen Hauptstadtflughafen.

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Am letzten Probetriebstag hatte ich die Gelegenheit, den Flughafen Berlin Brandenburg (BER) noch einmal vor seiner Eröffnung am 31.10.2020 zu besuchen. Persönlich kannte ich das Layout, Vorfeld und einige Verfahren noch aus der Rollverkehrssimulation im Jahr 2012, vor der ursprünglich geplanten und dann geplatzten Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens. Auf die Frage, ob sich denn seitdem etwas an den Flugbetriebsverfahren auf dem Vorfeld des BER geändert habe, erhielt ich die Antwort: „Alles!“.

Was hat sich an den Vorfeldverfahren geändert? Alles!

 

Also was genau erwartet uns bei einem Anflug auf den womöglich letzten großen Flughafenneubau in Deutschland? Als eine Erweiterung des bestehenden Flughafens Schönefeld (SXF) wurde ein Parallelbahnsystem mit 1900 m Abstand zwischen den beiden Start- und Landebahnen geschaffen. Dies erlaubt einen unabhängigen Betrieb der beiden Runways. Die asphaltierte Nordbahn ist 3600 m lang und 45 m breit, die betonierte Südbahn ist 4000 m lang und 60 m breit. Zwischen den Runways befindet sich das Hauptterminal (Terminal 1) und das nachträglich errichtete Terminal 2 für Low-Cost Airlines. Dem Terminal 1 westlich vorgelagert ist der 715 m lange Hauptpier (z.B. für Lufthansa), wovon Richtung Osten jeweils ein 350 m langer Nord- (für Low-Cost Airlines) und Südpier (hauptsächlich für EasyJet) abgehen. Nördlich des Parallelbahnsystems befindet sich das bestehende und ertüchtigte Terminal 5 (ehemals SXF) für Low-Cost Airlines, wie z.B. Ryanair, und das Regierungsterminal für die Flugbereitschaft der Luftwaffe.

 

Die Entscheidung, das alte Terminal des Flughafens Schönefeld doch weiter zu nutzen, hätte mit dem ursprünglich geplanten Nutzungskonzept des Bahnsystems zu zahlreichen Pistenkreuzungen und teilweise sehr langen Rollzeiten geführt. Denn eigentlich sollten die Flugzeuge destinationsbezogen auf die beiden Runways verteilt werden. Also für nördliche Ziele auf die Nordbahn und für südliche auf die Südbahn. In Zukunft wird der DFS eine Stunde vor Anflug des jeweiligen Flugzeugs die Parkposition mitgeteilt, sodass der Verkehr bereits in der Luft für die jeweilige Runway vorsortiert werden kann. Grob gesagt gehen alle Flugzeuge mit Parkposition am Terminal 5 und am Nordpier auf die Nordbahn und alle Flugzeuge mit südlicheren Parkpositionen auf die Südbahn.

"Virtuelle Höfe" gegen Rückstaus auf Betriebsstraßen

Einhergehend mit dieser Vorsortierung in der Luft findet sich eine weitere Besonderheit auf dem Vorfeld B/D nordwestlich des Hauptpiers am Terminal 1. Ursprünglich, also 2012, gab es auf diesem großen Vorfeld drei durchgehende Taxiways (V1, VC und V2) von Nord nach Süd, die das unabhängige Rollen von Flugzeugen mit EASA/ICAO Code Letter C ermöglichen oder alternativ von größeren Flugzeugen auf Taxiway VC. Simulationen haben jedoch ergeben, dass der kreuzende Bodenabfertigungsverkehr zu den weiter westlich gelegenen Vorfeldpositionen bei hohem Flugaufkommen zu großen Rückstaus auf den Betriebsstraßen geführt hätte. Um einen teuren Tunnelbau unter dem Vorfeld zu umgehen, hat man sich zur Einführung von sogenannten „virtuellen Höfen“ entschieden. Dabei wurden die äußeren Taxiways V1 und V2 unterbrochen und das erwähnte Vorfeld virtuell in zwei Höfe geteilt, sodass die nordwestlich des Terminals 1 gelegene Betriebsstraße Richtung Westen dauerhaft frei für Fahrzeuge ist. Sollte ein Flugzeug in seltenen Fällen doch einmal auf dem mittleren verbleibenden Taxiway VC über die Betriebsstraße rollen, so kann der Apron-Controller die Funktion „Virtuelle Barriere“ auswählen. Auf der Betriebsstraße erscheinen für die Bodenfahrzeuge rote Stop Bars, die schleifengesteuert und zeitversetzt nach dem Durchrollen des Flugzeugs automatisch ausgeschaltet werden und die Betriebsstraße wieder freigeben.

 

Doch was bietet der Flughafen, der 2012 als modernster Flughafen Europas beworben wurde, noch? Ein Anflug auf den BER erfolgt bei Bedarf mittels eines CAT IIIb auf alle vier Runways. Nach der Landung und dem automatischen Frequenzwechsel zum Bodenlotsen wird das Flugzeug zur Parkposition geleitet. Der Flughafen ist mit einem Advanced Surface Movement Guidance and Control System (A-SMGCS) ausgestattet, das in einer späteren Ausbaustufe auch ein „Follow the Green“-System ermöglichen könnte. An allen Gebäudepositionen des BER mit Fluggastbrücken (Positionen B02 – B16 und C03 – C12) wurden beleuchtete Einrolllinien und ein automatisches Visual Docking Guidance System (VDGS) von Honeywell verbaut. Kurioserweise steht das VDGS nicht immer in der direkten Verlängerung der Einrolllinie, sondern teilweise seitlich versetzt, was für manche Crew etwas ungewohnt sein könnte.

Nordpier ohne Fluggastbrücken

Um auch für Billigflieger attraktiv zu sein, mussten möglichst kurze Turnaround-Zeiten und günstige Abfertigungsgebühren realisiert werden. Dies zeigt sich deutlich beim Nordpier, das über Walkboarding-Positionen und keine Fluggastbrücken verfügt. Die Betriebsstraße wurde bewusst hinter die Flugzeuge verlegt, um auf eine Busnutzung und damit einhergehende weitere Kosten verzichten zu können.

Auf den Vorfeldern B, C, und D (also Hauptpier, gegenüber liegende Vorfeldpositionen und Südpier) verfügen alle Parkpositionen über Unterflurbetankungsmöglichkeiten. Darauf wurde beim Nordpier (Vorfeld A) aus besagten Kostengründen verzichtet.

Abfliegende Flugzeuge können die Anlassfreigabe per Datalink Clearance (DCL) erbitten und erhalten. Natürlich erfolgt der Triebwerksstart nur in einem vorher festgelegten Zeitfenster, der Target Start-Up Approval Time (TSAT). Denn der Flughafen ist im Gegensatz zum Flughafen Tegel Teil des Harmonisierungs-Prozesses Airport Collaborative Decision Making (A-CDM).

Sollte die Witterung einen Enteisungsvorgang erfordern, so werden die Flugzeuge am Terminal 1 und Terminal 2 grundsätzlich an ihrer Parkposition enteist. Sollte die Hold-Over-Time (HOT) kritisch sein, so stehen dennoch bei Bedarf Remote-Positionen in der Nähe der Runways zu Verfügung. Flugzeuge am Terminal 5 werden immer auf Remote-Positionen enteist.

Firefighting Category 10

Auch für den Notfall ist der BER gut gerüstet. Die Fire Fighting Category entspricht der höchsten Stufe 10 und der gesamte Flughafen verfügt über ein Notfallmanagement-System mit 35 Arbeitsplätzen für alle dann benötigten Prozesspartner. Die Notfallzentrale befindet sich im gleichen Gebäude im Westen des Flughafens wie das Airport Control Center (ACC) zur Steuerung der flugbetrieblichen Prozesse am BER.

Gerade im Hinblick auf über Nacht parkende Flugzeuge bietet der BER deutlich mehr Parkpositionen als der nun schließende Flughafen Tegel, bei dem es in den letzten Jahren teilweise zu Platzproblemen kam. Natürlich ist dies bei dem aktuell aufgrund der Corona-Pandemie stark reduzierten Flugaufkommen nur von untergeordneter Bedeutung. Bezüglich des Nachtflugbetriebs wird sich in Schönefeld einiges ändern, denn mit der Eröffnung des BER gilt ein Nachtflugverbot von 0 bis 5 Uhr und ein eingeschränkter Flugbetrieb in den Betriebszeiten zwischen 23 und 24 Uhr und von 5 bis 6 Uhr.

Schlussendlich lässt sich nur sagen, dass der über 6 Mrd. € teure und deutlich verspätete Flughafenneubau nun 14 Jahre nach Baubeginn tatsächlich öffnen soll. Was lange währt, wird (hoffentlich) endlich gut!