Beteiligt an einer Runway Incursion war eine BE90 Beech 90 King Air und eine Boeing B738 im kurzen Endanflug. Es war früher Abend und es herrschte bereits Dunkelheit. Der Rolllotse (GND) in Ausbildung (Trainee) hatte schon mehrjährige Vorerfahrung als Towerlotse an einer anderen DFS Niederlassung. Die BE90 wurde vom Rolllotsen zum Rollhalt der Piste im Schnellabrollweg freigegeben. Der Pilot bestätigte lediglich den Runway Designator. Das fehlerhafte Readback wurde vom Trainee auf Ground zwar wahrgenommen, aber nicht korrigiert. Dem Coach fiel das unvollständige Readback nicht auf.
Nachdem sich die BE90 abflugbereit gemeldet hatte, wurde der Pilot vom Rolllotsen aufgefordert den Towerlotsen (TWR) zu kontaktieren. Wenige Sekunden später überrollte die BE90 den Rollhalt und kam 35m dahinter zum Stehen. Zeitgleich wurde von der Bodenlagedarstellung an beiden betroffenen Arbeitsplätzen ein optischer Alarm generiert und ausgegeben. Zu diesem Zeitpunkt waren die akustischen Alarme in der Kanzel grundsätzlich ausgeschaltet, da es in der Vergangenheit mehrfach zu Fehlalarmen gekommen ist.
Auf der Frequenz des Towerlotsen hatte sich die BE90 noch nicht gemeldet.
Zum Zeitpunkt des optischen Alarms befand sich eine B738 im kurzen Endanflug der Piste ca. 300m vor der Schwelle. Der Towerloste entschied sich dagegen, der B738 unverzüglich die Anweisung zum Durchstarten zu geben, da er erst visuell mit einem Fernglas überprüfen wollte, ob die BE90 den Rollhalt wirklich überrollt hatte. Nachdem er dies bestätigt hatte, hätte aus seiner Sicht ein Durchstarten keinen Sicherheitsgewinn mehr gebracht.
Zwei Sekunden nachdem die landende B738 die Rollbahneinmündung passiert hatte, meldete sich die BE90 dann beim Towerlotsen im Schnellabrollweg ohne Nennung der Piste oder eines Rollhaltes. Die BE90 wurde danach zum Aufrollen und Start freigegeben.
Auffällig war, dass die BE90 während des gesamten Funkkontaktes mit Roll- und Towerlotse durchgehend von der vorgeschriebene Standardphraseologie abwich.
Im Nachgang des Ereignisses wurde als Safety-Maßnahme die akustische Alarmierung der Bodenlage an allen Arbeitsplätzen wieder aktiviert. Darüber hinaus wurde vom lokalen Safety Team eine Info an alle operativen Mitarbeiter verteilt, in denen noch einmal auf die lokal spezifischen Probleme der Unterlast eingegangen wurde.
Eine persönliche Analyse des DFS-Untersuchers der „Rusty Aviation“ Gesamtsituation:
Wie konnte es dazu kommen, dass bei zwei erfahrenen Lotsen auf Ground einem das unvollständige Readback zwar auffällt, er es aber nicht korrigiert, während es der Coach gar nicht bemerkt? Wieso wird vom Platzlotsen erstmal die Bodenlagedarstellung/-alarmierung mit dem Fernglas überprüft und die Situation „laufen gelassen“, statt ein Durchstartmanöver anzuweisen?
Der o.a. Vorfall ereignete sich im Winter 2020, einer Zeit, die stark vom Verkehrseinbruch durch die Coronapandemie geprägt war. Der Flugverkehr war weit von den Peaks der vergangenen Jahre entfernt. Nach knapp 9 Monaten konstanter Unterforderung scheint sowohl auf Piloten- als auch auf Lotsenseite die Proficiency merklich gesunken.
Viele Lotsen werden das Phänomen kennen, dass man größere Probleme hat, die Konzentration in Unterlast aufrecht zu halten, als wenn man „am Limit“ arbeitet. Nicht umsonst ist der Vigilanz Test Bestandteil des Auswahlverfahrens für Lotsen.
Was wir zusätzlich nicht vergessen dürfen: Wir als Flugsicherung sind nur ein Teil des Systems Luftfahrt. Auch auf der anderen Seite des Funks waren die letzten Monate von weit weniger Flügen und größtenteils sogar Kurzarbeit bestimmt.
Es besteht zudem die Gefahr, dass zwar alle wissen, dass sie selbst nicht bei vollen 100% Leistungsfähigkeit sind, trotzdem gleichzeitig unterbewusst davon ausgehen, dass alle anderen weiterhin mit höchster Professionalität und großer Erfahrung agieren.
Das gilt aktuell umso mehr im Umgang mit „expedite“ und „immediate“ Freigaben. Wenn ein Plan nur dann funktionieren kann, wenn alle „mitspielen“ sollte man sich zumindest bewusst sein, dass es momentan häufiger passiert, dass die entscheidenden Sekunden -gefühlt- „vertrödelt“ werden können. Dies passiert, obwohl man sich im Cockpit bemüht so effizient wie möglich zu arbeiten, die fehlende Routine aber schlicht etwas mehr Zeit als „normal“ kostet.