Flight Safety

„Wirtschaftliche Interessen dürfen keinesfalls dazu führen, kritische Flugrouten zu nutzen“

Die zunehmenden geopolitischen Spannungen und Krisenherde im Nahen und Mittleren Osten zwingen Airlines dazu, ihre Flugrouten regelmäßig neu zu bewerten und gegebenenfalls großräumig zu umfliegen. Das hat nicht nur operative, sondern vor allem sicherheitsrelevante Auswirkungen auf Crews und Passagiere. Wir haben mit Daniel Niesler, Leiter der Arbeitsgruppe SEC (Safety und Security) der Vereinigung Cockpit gesprochen und wollten wissen, wie er die aktuelle Lage aus Sicht eines Piloten einschätzt.

Welche konkreten Auswirkungen haben die aktuellen Krisenherde auf die Flugrouten und die tägliche Arbeit im Cockpit?

Die aktuellen Krisengebiete – insbesondere in Regionen wie dem Nahen und Mittleren Osten – stellen ein erhebliches Sicherheitsrisiko für den zivilen Luftverkehr dar. Zwar haben betroffene Staaten Maßnahmen ergriffen, wie vorübergehende Luftraumsperrungen und/oder -beschränkungen. Für Airlines bedeutet die aktuelle Lage, weiträumige Umwege zu fliegen, um die Sicherheit ihrer Flüge zu gewährleisten. Flugzeuge auf Routen zwischen Europa und Zielen wie Dubai, Indien oder Ostasien meiden zunehmend die kürzesten und klimafreundlichsten Strecken. Jemen, Syrien oder die Ukraine gelten schon länger als Flugverbotszonen, auch ist die Nutzung des russischen Luftraums europäischen Airlines untersagt. Angrenzende Regionen werden von vielen Airlines ebenfalls vorsorglich gemieden. Durch die nun erforderliche Umfliegung des Irak und des Iran ergeben sich zum einen deutlich längere Umwege von Europa in Richtung Fernost und Indien, zum anderen sind die verbleibenden Ausweichrouten stark frequentiert. Und mancherorts wird es eng. Der Korridor zwischen Schwarzem Meer und Kaspischem Meer über Georgien und Aserbaidschan kann dabei mit Recht als Nadelöhr bezeichnet werden.
 

Welche sicherheitsrelevanten Herausforderungen ergeben sich aus den stark verlängerten Routen nach Asien?

Die verlängerten Flugrouten führen zu einer deutlich längeren Flugdauer und damit zu einer erhöhten Belastung der Besatzung durch verlängerte Dienstzeiten. Hinzu kommt die eingeschränkte Verfügbarkeit geeigneter Ausweichflughäfen und Notfalloptionen. Insbesondere die absichtliche militärische Verfälschung der GPS-Signale in diesen Regionen erfordert eine erhöhte Aufmerksamkeit der Flugbesatzungen. Der Einfluss dieser Verfälschung auf Flugzeugsysteme ist vielschichtig und hält teilweise auch noch lange nach dem Durchflug dieser Gebiete an. 
 

Welche Risiken gehen von den aktuellen Militäroperationen in der Region für die zivile Luftfahrt aus?

Die laufenden Militäroperationen stellen nicht nur für den unmittelbaren Luftraum über dem Iran und Israel ein hohes Risiko dar, sondern beeinträchtigen auch die Lufträume einiger Nachbarstaaten. Der Einsatz von Luftabwehrsystemen und militärischen Luftfahrzeugen, die bis in hohe Flugflächen operieren können, sowie von Marschflugkörpern und ballistischen Raketen - einschließlich der Abfangfähigkeit über die Grenzen des Iran und Israels hinaus - machen den gesamten betroffenen Luftraum anfällig für sog. Spill-Over Risiken, Fehleinschätzungen und das Versagen von Abfangverfahren.

Wie stark belasten diese Umwege Crew-Planung, Dienstzeiten und die Flugsicherheit insgesamt?

Verlängerten Flugzeiten wirken sich unmittelbar auf die gesetzlich vorgeschriebenen Dienst- und Ruhezeiten der Crews aus. Die Notwendigkeit zusätzlicher Zwischenstopps oder Crewwechsel erhöht die operative Komplexität weiter. Insgesamt ergibt sich daraus eine dauerhafte Belastung, die – sofern nicht angemessen berücksichtigt – negative Auswirkungen auf die Flugsicherheit haben kann. Nicht zu unterschätzen sind die Konsequenzen, die sich durch die gestörten GPS-Signale ergeben. Sie stellen eine Herausforderung für die Piloten und langjährig etablierte Sicherheitssysteme und Verfahren dar. Hier gibt es koordinierte Bemühungen der Hersteller, Behörden und Fluggesellschaften, um diesen Problemen bestmöglich zu begegnen.
 

Spüren Sie bereits eine Zunahme von Stress oder Belastung bei Cockpitpersonal durch die angespannte geopolitische Lage?

Viele Pilotinnen und Piloten berichten nicht nur aus den oben genannten Gründen von einer spürbaren Zunahme der Belastung, sondern auch aufgrund der ständigen Unsicherheit, ob und wie sich geopolitische Entwicklungen kurzfristig auf den eigenen Flug auswirken könnten. All dies trägt zu einem deutlich erhöhten Stresslevel bei. Die Vereinigung Cockpit stellt klar, dass wirtschaftliche oder politische Interessen keinesfalls dazu führen dürfen, kritische Flugrouten zu nutzen und damit Passagiere und Besatzungen zu gefährden.

 

Weitere Informationen

Aufgrund der aktuellen Zuspitzung des Konflikts zwischen Israel und dem Iran hat die European Union Aviation Safety Agency (EASA) in enger Abstimmung mit der Europäischen Kommission ein sog. Conflict Zone Information Bulletin (CZIB) für den Nahen Osten veröffentlicht, das sich mit den Lufträumen des Iran, Irak, Israels, Jordaniens und des Libanon befasst.